2022 New England Day 5
Schöner Wohnen

Fr, 7. Oktober 2022

IMMER DIE KÜSTE ENTLANG

Nach drei Nächten in Ogunquit ziehen wir weiter die Küste hinauf in das nächste pittoreske Städtchen, nach Boothbay Harbor. Auf dem Weg dahin schnüren wir das erste Mal in diesem Urlaub die Wanderschuhe, schauen uns in der alten Industriestadt Biddeford um und halten zum Mittagessen in Portland, der größten Stadt Maines.


Der Himmel ist etwas wolkenverhangen, trotzdem wollen wir heute das Wanderprogramm starten. Wobei: "Wandern" ist vielleicht ein bisschen hochgegriffen, es dürften eher einfache Spaziergänge werden.


Marsch durch die Marschen


Entlang der Küste im Süden Maines zieht sich ein Mosaik von Naturschutzgebieten, die vor allem Marschen, also das Ökosystem am Übergang zwischen Meer und Festland und wichtiges Habitat für Zugvögel, vor all zu zerstörerischen menschlichen Eingriffen bewahren sollen. Als Rachel Carson National Wildlife Refuge werden die vom U.S. Fish & Wildlife Service, also von der Bundesregierung, verwaltet. Der FWS kümmert sich auch um die Pflege der ausgeschilderten Wege, auf denen sich die Gebiete erkunden lassen. So gibt es zwischen Wells und Kennebunkport, wo sich der Little River durch Salzwiesen und Wälder schlängelt, den eine knappe Meile langen Carson Interpretive Trail. Der führt zu einigen Aussichtsplattformen und teilweise über Bohlen durch den Wald. Sehr nett.

 

Eine halbe Stunde Autofahrt entfernt fließt bei der Siedlung Granite Point ein weiterer Little River in den Golf von Maine. Auch dessen Uferbereich gehört zum Carson NWR. Von einem kleinen Parkplatz führt eine Gravel Road um die Curtis Cove auf die Halbinsel Timber Point. Ein bisschen neidisch blicken wir auf die Häuser jenseits der Flussmündung. Die stehen direkt am meilenlangen weißen Sandstrand Goose Rocks Beach. Ein paar vorgelagerte Inselchen komplettieren das traumhafte Panorama. Zu einer der Inseln, Timber Island, kann man bei Ebbe sogar rüberlaufen. Das können wir uns bei dem momentanen Wasserstand kaum vorstellen.


Ein verlassenes Haus im Wald


Mitten im Naturschutzgebiet befindet sich ein verlassenes Wohnhaus, The Ewing House. Louise Ewing hatte die Halbinsel 1929 gekauft, ihr Mann Charles, seines Zeichens Architekt, darauf ein großzügiges Anwesen bauen lassen, Tennisplatz und Bootshaus inklusive. Den Ewings ist es zu verdanken, dass Timber Point nicht weiter erschlossen wurde und sich die Natur dort fast ungestört entwickeln konnte. Nachkommen verkauften das Ganze im Jahr 2012 für über 5 Millionen Dollar an den FWS.


Marschland am Little River
Curtis Cove
Mailbox
Ein Schild sorgt für Ordnung
Blick nach Goose Rocks Beach
Häuser am Meer
Flussmündung
Timber Island
Rachel Carson National Wildlife Refuge
Monarchfalter
Zufahrt
Verlassen
Niemand zuhause
Mauerwerk
Im Garten
Zurück zur Natur

Es ist Mittag, als wir auch diesen gut eine Meile langen Trail abgewandert sind. Zeit, sich um das kulinarische Programm Gedanken zu machen. Wir kommen heute auf jeden Fall noch durch Portland, die größte Stadt von Maine. Mega angesagt dort: Donuts. Maine brüstet sich ohnehin damit, dass einer der ihren, Captain Hanson Gregory, das Schmalzgebäck mit Loch erfunden haben soll. Wobei sein Beitrag wohl im Wesentlichen darin bestand, den Deckel einer Pfefferdose zum Ausstanzen der Mitte verwendet zu haben, so dass der Teig gleichmäßig ausbuk. In Portland gibt es jedenfalls einige trendy Donut-Shops, sogar geführte Touren von Laden zu Laden werden angeboten. Aber: Diese Läden machen alle spätestens um 14 Uhr zu. Mit Parkplatzsuche im Stadtverkehr könnte das eng werden. In einem Blog hatte ich aber Reilly's Bakery in Biddeford erwähnt gefunden. Von der sind wir nur 20 Minuten entfernt. Also auf nach Biddeford!


Industriegeschichte am Saco River


Biddeford? Nie gehört. Aber die Kleinstadt am Saco River lohnt durchaus einen Stopp, nicht nur wegen der Bakery. Schon 1616, und damit vier Jahre vor der berühmten Landung der Mayflower 100 Meilen weiter südlich, ließ sich der Arzt Richard Vines am Biddeford Pool nieder, einem großen Gezeitenpool an der Mündung des Saco. Eine Siedlung entstand, aus der sich die Zwillingsstädte Saco und Biddeford entwickelten. Der größte Standortvorteil: Mitten im Fluss liegt eine Insel, um die herum sich der Saco seinen Weg über zwei Wasserfälle bahnt - der ideale Ort für Sägemühlen und, ab Mitte des 19. Jahrhunderts, die Ansiedlung von Textilfabriken. Die zogen Tausende Einwandernde an, vor allem aus Irland, Albanien, aber auch aus dem nicht weit entfernten Québec. Auf ihrem Höhepunkt beschäftigten die Fabriken 12.000 Menschen.


Wie andernorts - Lowell in Massachusetts ist ein bekanntes Beispiel, die Stadt haben wir schon 2008 besucht - setzte auch in Biddeford im 20. Jahrhundert der lange Abstieg der Textilindustrie ein. Die Unternehmen verlagerten die Produktion erst in die billigeren Südstaaten und dann weiter nach Übersee. 2009 schloss die letzte Textilfabrik in Biddeford. Aber die Stadt boomt wieder! Sie profitiert von ihrer Nähe zu den prosperierenden Metropolregionen in New Hampshire und zum Großraum Boston, ist Universitäts-Standort und hat mit über 22.000 Menschen heute mehr EinwohnerInnen als je zuvor - die im Durchschnitt 35 Jahre alt sind, was Biddeford zur jüngsten Stadt Maines macht. In die riesigen alten Fabrikgebäude, die auch heute noch die Stadtmitte prägen, sind junge Unternehmen, Hotels und Loft-Wohnungen eingezogen, an der Maine Street gibt es coole Läden und nette Kneipen. Und eben besagte Reilly's Bakery, die sogar schon seit über 100 Jahren.


In einem kleinen Park neben der Bäckerei verputzen wir die dort ausgesuchten Köstlichkeiten auf der Stelle und drehen dann noch eine Runde durch die Stadt. Conny meint, sie sei sich nicht so sicher, ob sie Biddeford ganz cool oder hässlich finden soll. Ich liebe diese alte Industriearchitektur ja total! Liegt vielleicht an meiner Kindheit in Nachbarschaft der Opel-Werke.


Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine
Biddeford, Maine

Next stop: Portland. Auf der letzten Reise haben wir hier zwei Nächte verbracht und damals für ein Zimmer im alt-ehrwürdigen Eastland Park Hotel mitten in Downtown lächerliche 50 Dollar bezahlt. Fast unvorstellbar mittlerweile, wo das Hotel ein Westin geworden ist, vier Sterne trägt und am anstehenden langen Wochenende ein Vielfaches dessen aufruft. Mit dem alten Hafenviertel, unzähligen Restaurants, seinem Kulturangebot und den tollen Ausflugsmöglichkeiten entlang der Küste ist Portland gerade zu dieser Jahreszeit ein unglaublich beliebtes Reiseziel für einen Städtetrip. Da rufen selbst Mittelklassehotels 500 Dollar die Nacht auf. Jenseits von Gut und Böse für uns.

 

Seafood zum Lunch


Wir bekommen einen Eindruck davon, wie voll Portland ist, als wir in der Nähe von Becky's Diner einen Parkplatz suchen. Rund um das kleine Restaurant am Hafen ist der Teufel los. Dabei sollte die Lunchtime nun gegen 14 Uhr eigentlich langsam ausklingen.


Aber wir haben Glück: Zwei Straßen entfernt ist eine Lücke am Bordstein frei, in der wir zwei Stunden lang umsonst stehen können. Und auch auf einen Tisch müssen wir nicht lange warten. Wir bestellen eine Lobster Roll für Conny (warum sie die lieber mit Mayonnaise mag statt mit warmer Butter, werde ich nie verstehen) und ein Haddock Sandwich für mich. Die Torten hinter der Theke sehen auch köstlich aus, aber ein Nachtisch geht beim besten Willen nicht mehr rein. Genau genommen hatten wir den ja auch schon vorhin in Biddeford.


Besichtigungsprogramm habe ich uns keins vorgenommen für Portland. Die einschlägigen Walking Tours waren ohnehin schon ausgebucht. Und immerhin haben wir noch eineinhalb Stunden Fahrt bis Boothbay Harbor vor uns. Bis Brunswick nehmen wir die Interstate 295, auf der wir schnell vorankommen, dann geht es wieder auf die Route 1 und bei Bath über den mächtigen Kennebec River. Um halb fünf erreichen wir unser Ziel, das Mid-Town Motel in Boothbay Harbor.


Becky's Diner Portland

Übernachten wie in den 50ern


Das Motel beschreibt sich selbst als "a true 1950's classic" und tatsächlich wirkt es außen wie innen sehr authentisch und erstaunlich gut erhalten. Nur hatten Motelzimmer in den 50er Jahren halt auch recht kleine Bäder und Betten. "Warm, friendly service and hospitality", wie ebenfalls angepriesen, erfahren wir nicht. Bei unserer Ankunft ist die Rezeption nicht besetzt (und sollte es auch die folgenden Tage nie sein), nur ein Umschlag mit meinem Namen liegt auf dem Tresen, darin der Zimmerschlüssel. Kontaktreduzierung aus Covid-Zeiten trifft Personalmangel, schätzen wir. Ein dicker Pluspunkt für das Mid-Town Motel ist aber seine Lage, denn es liegt, der Name trifft's, mitten im Ort und nur ein paar Schritte von den Geschäften und Restaurants am Hafen entfernt. So ist uns auch ein zentraler Parkplatz sicher. 


New England wie bei Disney


Boothbay Harbor ist ein winziges Fischerörtchen mit gerademal etwas über 2.000 ständigen BewohnerInnen. Während der Sommermonate schwillt die Zahl der Menschen auf der Boothbay Peninsula freilich auf das Zigfache an. Unzählige Ferienhäuser verteilen sich entlang der tief ins Land schneidenden Meeresarme, auf Inseln und Halbinseln. Die Gegend ist berühmt als Segelrevier, für Ausflüge zum Beobachten von Walen, Seehunden und Puffins, Papageientauchern, oder zum Fischen, dazu gibt es im Sommer und Herbst eine Reihe von Festivals in der Gegend. Man lebt also überwiegend vom Tourismus, und wenn Disney ein Hafenstädtchen in einem seiner Parks nachbauen wollte, würde es mit ziemlicher Sicherheit genau so aussehen wie Boothbay Harbor.  


Wir schauen uns zwischen den kunterbunten Souvenirläden und den Fischrestaurants auf den Piers um, spazieren über die Boothbay Harbor Footbridge und kehren dann in die gleich neben der Brücke gelegene Footbridge Brewery ein. Essen müssen wir heute nichts mehr, aber die Gelegenheit, ein paar lokale Biere zu probieren, will ich mir nicht entgehen lassen. Und zum Glück für Conny wird auch Wein ausgeschenkt. Überraschend geht draußen dann ein heftiger Schauer nieder. Da bleiben wir ein bisschen länger sitzen und genehmigen uns noch eine Runde Getränke. Bis ins Bett haben wir es ja nicht weit.


Boothbay Harbor, Maine
Boothbay Harbor, Maine
Boothbay Harbor, Maine
Boothbay Harbor, Maine
Footbridge Brewery, Boothbay Harbor, Maine
Footbridge Brewery, Boothbay Harbor, Maine
Footbridge Brewery, Boothbay Harbor, Maine
Footbridge Brewery, Boothbay Harbor, Maine

Unterkunft: Mid-Town Motel, Boothbay Harbor - 217 USD


Nützliche Links:

Visit New England - alles auf einen Blick

Visite Maine - Trip tips

Maine Donut Tour gives Portland visitors the hole story - über die Donut Walking Tours

The Best Lobster Rolls in Portland - Liste im Maine Mag

More Than A Summer Place - schöner Artikel über Boothbay Harbor im Down East Magazine

New England Foliage - Wie weit ist die Laubfärbung?

TripAdvisor Maine Travel Forum - beantwortet alle Fragen