Do, 6. Oktober 2022
Ein herrlicher Tag! Wir lassen uns durch das historische Portsmouth führen, gehen in Ogunquit zwischen Strand und Hafen spazieren und können schließlich nur staunen über die Rechnung zum Abendessen.
Ganz im Gegensatz zu gestern werden wir an diesem Morgen nicht von dem Geräusch von Regen geweckt, der gegen die Fenster prasselt. Stattdessen legt die aufgehende Sonne einen rosa Schimmer über Ogunquit. Conny springt direkt aus dem Bett in ihre Klamotten und schaut sich das Spektakel draußen an. Die Wolken, die da jetzt noch so schön leuchten, dürften sich bald auflösen. Heute ist endlich nichts als Sonnenschein in der Vorhersage.
Für 10:30 Uhr habe ich uns auf eine Walking Tour durch Portsmouth gebucht. Wir haben die Stadt an der Mündung des Piscataqua River schon einmal besucht, allerdings nicht unter fachkundiger Führung. Das wollen wir nun nachholen. Es bietet sich an, auch gleich dort zu frühstücken. Aus dem Hotel nehmen wir uns also nur einen Kaffee mit und fahren eine knappe halbe Stunde bis über die Staatsgrenze nach New Hampshire.
Frische Croissants zur Stärkung
Das Auto stellen wir in der Hanover Garage ab. Gleich um die Ecke, in einer schmalen Gasse mit kleinen Läden und Restaurants, befindet sich die Elephantine Bakery. Die Betreiber – sie Harvard-Absolventin, er in Frankreich ausgebildeter Bäcker – haben sich mit dem kleinen Café wohl einen Lebenstraum erfüllt. Die Leute stehen Schlange bis zur Tür hinaus. Wir ergattern einen kleinen Tisch vor dem Fenster und genießen frisch gebackene (und natürlich sündhaft teure) Croissants.
Weil das bisher alles so fix ging, haben wir noch eine knappe Stunde Zeit bis zum Start der Walking Tour. Also bummeln wir schonmal ein bisschen auf eigene Faust durch den Park, in den der alte Hafen verwandelt wurde. Unterwegs gibt es viel zu lesen, an jeder Ecke informieren Tafeln über die Historie der Stadt. Und davon verfügt Portsmouth im Übermaß für einen Ort mit gerade etwas über 20.000 Menschen.
Was Portsmouth zum Ausflugsziel machte
Von 1679 bis 1774 war Portsmouth die Hauptstadt der Kolonie New Hampshire, wurde allerdings nach der Revolution von Concord abgelöst, das zentral im Merrimack River Valley gelegen ist, dem wirtschaftlichen Zentrum des kleinen Bundesstaats, in dem sich mit Manchester auch dessen größte Stadt befindet. Der Boom dieser Orte, in denen die Wasserkraft die Industrialisierung vorantrieb, ließ Portsmouths Bedeutung verblassen.
Ähnlich wie im vorgestern von uns besuchten Ipswich sorgte die wirtschaftliche Stagnation auch hier dafür, dass viele historische Gebäude erhalten blieben. So wurde Portsmouth schon früh zum Ziel von Künstlern und Touristen, die auch heute noch in Scharen durch die hübsche Innenstadt mit ihren Backstein-Gebäuden oder das Freilichtmuseum Strawbery Banke (so hieß die erste europäische Siedlung, aus der Portsmouth erwuchs) bummeln.
Die Führung beginnt beim Visitor Center der Portsmouth Historical Society. Mit uns und dem Guide zählt die Gruppe gerade acht Köpfe, wobei man einen demonstrativ desinteressierten Amerikaner gleich wieder abziehen kann. Er steckt sich gar nicht erst die Kopfhörer an. Warum er sich nicht lieber in ein Café gehockt und seine Partnerin allein hat teilnehmen lassen, ist uns ein Rätsel. Auf uns wirkt das Verhalten sehr unhöflich.
Die Geschichte von John Paul Jones
Gleich um die Ecke ist schon der erste Stopp, nämlich am John Paul Jones House, einem dreistöckigen Five-four-and-a-door (jetzt schon die beste Vokabel, die wir auf dieser Reise aufschnappen!), erbaut 1758. Googelt man nach John Paul Jones wird man vor allem auf den Led Zeppelin-Gitarristen stoßen. Der hat nach allem, was man weiß, nicht in dem Haus gewohnt, dafür ein gleichnamiger Kapitän der jungen Continental Navy und Held des Unabhängigkeitskrieges.
Jones schillernde Karriere führte ihn später in die russische Marine, mit der er im Auftrag von Katharina der Großen gegen das Ottomanische Reich in den Krieg segelte. Der Vorwurf, eine Zehnjährige vergewaltigt zu haben, ließ ihn in Ungnade fallen. Seine letzten Jahre verbrachte Jones fernab der See in Paris, wo er 1792 mit nur 45 Jahren an einer Nierenentzündung starb und bald in Vergessenheit geriet. Aber das war nicht das Ende der Geschichte von John Paul Jones.
1905 exhumierte man seine Überreste, die vorausschauenderweise in einem mit Alkohol gefüllten Bleisarg vergraben worden waren. Ein Zeitgenosse Jones' hatte geahnt, dass die USA irgendwann wieder Interesse an dem Seefahrer zeigen würden. Seit 1913 liegt er nun auf dem Friedhof der Naval Academy in Annapolis, Maryland.
Und irgendjemand erinnerte sich auch daran, dass John Paul Jones mal ein Zimmer in diesem Haus in der Middle Street 43 zu Portsmouth gemietet hatte. Seit 1972 ist das ein National Historic Landmark, ein Denkmal nationalen Ranges, und viel länger schon ein Museum.
Praktisch an jeder Straßenecke lässt sich eine spannende Geschichte erzählen. Etwa wie Portsmouth gleich drei Mal um Weihnachten herum von Feuersbrünsten heimgesucht wurde – 1802, 1806 und 1813. Nachdem die letzte über 100 Gebäude vernichtet hatte und die nach dem ersten Brand gegründete Versicherungsgesellschaft Bankrott anmelden musste, erließ die Stadt ein Jahr darauf den "Brick Act". Alle Gebäude höher als 12 Fuß waren fortan aus Backstein zu errichten, was der Mitte von Portsmouth zu ihrem einheitlichen Stadtbild verhalf.
Hier endete der Nullte Weltkrieg
Und dann tauchte Portsmouth Anfang des 20. Jahrhunderts sogar auf der ganz großen Weltbühne auf. 1905 fanden hier nämlich die Friedensverhandlungen zwischen Japan und Russland statt, die sich damals einen Krieg um Korea und die Mandschurei lieferten – von unserem Guide "World War Zero" genannt. Der endete mit dem Treaty of Portsmouth, was dem damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt den Friedensnobelpreis einbrachte. Ja, ich habe mir einiges auf dieser Tour gemerkt. Lohnt sich einfach immer!
Nach eineinhalb Stunden sind wir zurück am Besucherzentrum. Wir kommen noch mit einem der anderen Teilnehmer ins Gespräch, der erzählt, er hätte einen Freund in Deutschland, den er eigentlich gerne mal wieder besuchen würde. Er sei sich aber nicht sicher, wo sich Deutschland doch bestimmt so verändert hätte "with all those muslims." Da sind wir kurz baff und beenden den Smalltalk so schnell, wie es höflich zulässig erscheint.
Ich könnte jetzt ein Bier vertragen. Das gibt es in der Portsmouth Brewery. Wie bei vielen anderen Bars und Restaurants der Stadt hat die Pandemie dafür gesorgt, dass die kleine Brauerei auch ein paar Sitzplätze auf einer Terrasse an der Straße hat – zumindest bis zum 1. November. Dann müssen die nämlich alle geräumt werden damit der Schneepflug durchkommt. Dinge, über die wir uns in Deutschland keine Gedanken machen müssen ... Wir bekommen einen Tisch in der Sonne, bestellen Bier und Wein und Pommes dazu.
Traumhafter Strandtag
Auf dem Rückweg nach Ogunquit halten wir noch bei Levi's in Kittery (eine Jeans für mich geht mit) und am Strand von York. Man könnte meinen, es wäre Sommer – aber nur bis man aus dem Auto steigt und einen der Wind fast davonweht. Schön ist der Blick rüber zum Nubble Light am Cape Neddick. Raus zu dem kleinen Leuchtturm fahren wir aber nicht. Wir waren schon zwei Mal dort, ein drittes Mal brauchen wir nicht die gleichen Fotos.
Auch Ogunquit hat einen breiten Sandstrand, zumindest während Ebbe ist. Auf dem Spaziergang dahin bekomme ich zum zweiten Mal heute einen Beweis dafür geliefert, dass dieses Land in Teilen komplett den Verstand verloren hat, als uns zwei händchenhaltende Männer entgegenkommen, von denen einer ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Impeach Biden - Impeach Harris - Impeach Pelosi" über dem Wanst trägt. Ansonsten ist's aber wirklich herrlich hier am Meer.
Schlamassel am Hafen
Auf dem Marginal Way, einem asphaltierten Weg direkt über den Klippen, laufen wir zur Perkins Cove, dem kleinen Hafen von Ogunquit. Auf der Landzunge neben dem Hafenbecken mit ihren Souvenirläden, Galerien und Restaurants herrscht Ausnahmezustand. Nicht weil hier so viele Menschen unterwegs wären, sondern weil die Kanalisation übergelaufen ist und sich stinkender Schlamm über eine Straße ergossen hat. Die Feuerwehr versucht ihr Bestes, die Sauerei zu entfernen. When shit comes to shove ...
Wir wollen bei Barnacle Billy's zu Abend essen. Der Haken: Es gibt zwei Lokale dieses Namens. Als wir bei dem einen schon einen netten Sitzplatz in der Sonne direkt am Wasser eingenommen haben und die Bedienung uns erklärt, dass sie für die Getränke zuständig sei und wir das Essen drinnen an der Theke bestellen müssten, geht mir auf, dass wir im falschen Lokal gelandet sind. Wir entschuldigen uns und wechseln ins "Barnacle Billy's etc." Das ist das Restaurant, in dem ich letztes Mal Jakobsmuscheln im Speckmantel mit Ahornsirup als Vorspeise hatte. Die will ich jetzt wieder haben und sie stehen auch tatsächlich auf der Karte - für 25 Dollar. Wieder einmal fallen wir fast vom Stuhl. Auf der Rechnung stehen schließlich 107 Dollar - ohne Trinkgeld. Ja Prost!
Unterkunft: The Colonial Inn, Ogunquit - 200 USD
Nützliche Links:
Visit New England - alles auf einen Blick
New Hampshire Live Free - Reiseinfos für New Hampshire
Visite Maine - Trip tips
Beautiful by the Sea - Besuchertipps für Ogunquit
New England Foliage - Wie weit ist die Laubfärbung?
TripAdvisor Maine Travel Forum - beantwortet alle Fragen