Quer durchs Karwendel

WENN DIE SONN UNTERGEHT

IM KARWENDEL (1)


Als wir bei Garmisch zum dritten Mal an diesem Anreisetag durch sintflutartigen Regen fahren, beginnen wir, alternative Pläne für die angedachte Wanderung ins Herzen des Karwendelgebirges durchzuspielen. Könnten wir noch eine Nacht im Tal bleiben und morgen direkt zum Karwendelhaus statt zur Hochwaldhütte aufsteigen? Aber was, wenn es dann genauso schüttet wie heute? Und würden wir dann nicht die aufregendste Etappe überhaupt verpassen? Am Ende muss ein Wanderer tun, was ein Wanderer tun muss. Auch in strömendem Regen.

Mehrere Routen führen durch das Gebirge in der Grenzregion von Bayern und Tirol. In drei bis fünf Tagen lässt es sich auch mit Kindern gut durchqueren. Erschlossen wurde das Karwendel quasi binnen eines Sommers durch einen Mann - Herrmann von Barth. Der Rechts- und Naturwissenschaftler aus München kletterte allein im Jahr 1870 auf nicht weniger als 88 Gipfel, darunter waren zwölf Erstbesteigungen. Im abgelegenen Kleinen Ahornboden erinnert ein Denkmal an den Bergsteiger.


Noch fast 150 Jahre später hat sich das Karwendel seinen ursprünglichen Charakter weitgehend bewahrt. Seilbahnen und Lifte sucht man in dessen Mitte vergebens. Über hundert Almen sind im Karwendel gezählt worden, neben dem Tourismus die einzige nennenswerte wirtschaftliche Nutzung. Meist sind es kleine, weit verstreute Almhütten, oft nur zu Fuß erreichbar. Auch das eine oder andere Jagdhaus liegt im Wald versteckt. Ansonsten sind vielerorts die Hütten des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins die einzigen Unterkünfte weit und breit, bieten die Berge Gemsen und Steinböcken, ja sogar dem Steinadler ein Zuhause. Schon seit den 1920er Jahren ist der Naturpark Schutzgebiet. Die Nähe zu den Metropolen München und Innsbruck machen das Karwendel für viele zum idealen Ort für eine Mehrtageswanderung ohne lange Anreise.


Von Mittenwald hinauf zur Hochlandhütte

(7,4 km /   ↑906 m / ↓188  m)


Am Wanderparkplatz am Ortsrand von Mittenwald angekommen ist aus dem Wolkenbruch normaler Regen geworden. Unsere Befürchtung, die Wege könnten sich in Schlamm aufgelöst haben, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Auf bequem zu laufenden Kiespfaden steigen wir Richtung Hochlandhütte auf und nach einem letzten heftigen Schauer reißen sogar die Wolken auf. Sonnenstrahlen tasten sich zur Kälberalm vor, über der auf 1.623 Metern die kleine Hütte sitzt.


Hüttenwirt Stefan Müller weiß wenig Positives über den Sommer 2017 zu berichten: Zu regnerisch, zu unbeständig und was die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik im nahen Innsbruck als Bergwetter herausgibt, habe mit der Realität herzlich wenig zu tun. “Ich habe jetzt den norwegischen Wetterdienst auf dem Handy”, gibt er zu und meint das nicht im Scherz: “Der ist genauer als unsere Leute hier 20 Kilometer weiter.” Da staunen wir und ergeben uns vorauseilend für die nächsten Tage in unser Schicksal. Die Norweger melden Dauerregen.

Obwohl in Sichtweite zu Mittenwald gelegen kann die Hochlandhütte nur zu Fuß erreicht werden. Die Versorgung erfolgt aufwendig per Hubschrauber.

Kurz vor Untergang bricht die Sonne durch die Regenwolken und sorgt für ein Spektakel am Himmel.