Di, 29. Jun 21
Gfrill (1.300m) - Segonzano (660m)
Auch wenn wir nun schon seit drei Tagen in Italien sind, überschreiten wir heute eine Grenze, nämlich die zwischen Südtirol und Trentino, also zwischen dem deutschsprachigen und dem italienischen Kulturraum. Dabei wandeln wir auf den Spuren eines Alten Meisters.
Zum letzten Mal fahre ich den Uralt-Passat rauf nach Gfrill. Mittlerweile haben wir auch gelernt, wie man die Heckklappe öffnet, nämlich indem einer über die Rückbank greift und von innen an einem Draht zieht, während ein anderer von außen dagegenzieht. So laden wir die gepackten Rucksäcke wieder ein und fahren zum Frühstück in den Fichtenhof. Zum Glück fällt mir erst jetzt ein, dass ich gar keinen Führerschein dabei habe.
Die Wasserflaschen werden mit frischem Quellwasser aus dem Dorfbrunnen gefüllt, dann machen wir uns auf die Socken. Es geht auf recht monotonen Forstwegen durch Eichen-Mischwälder direkt am Rand des Etschtals entlang. Dessen engste Stelle, die Salurner Klause, ist seit jeher die Grenze zwischen den germanischen und den romanischen Völkern. Ab jetzt wird Italienisch gesprochen. Wobei es auch weiter südlich noch deutsche Sprachinseln gibt. Richtung Norden schauen wir auf den Kalterer See. Den habe ich mir irgendwie immer viel größer vorgestellt.
Rast am Heiligen See
Um die Mittagszeit erreichen wir den Lago Santo, den Heiligen See. In dem ließe es sich sogar baden, uns reicht zur Erfrischung aber eine Runde Apfelsaftschorle auf der schattigen Terrasse des hiesigen Rifugio Alpino. Wir diskutieren kurz, ob wir hier nicht gleich Mittagessen bestellen wollen, entscheiden uns dann aber doch fürs Weiterwandern.
Warum der See heilig ist? Der Name geht auf eine Sage zurück. Demnach soll er entstanden sein, als sich drei Brüder nicht über die Aufteilung eines geerbten Waldstücks einige wurden und einer von ihnen “Wenn der Wald doch nur zum See würde!” ausrief. Prompt schmolzen die Bäume und füllten einen See, der allerdings immer weiter anschwoll und das Nahe Cembra zu überfluten drohte. Dessen Bewohner zogen in einer Prozession hinauf in den verwunschenen Wald, der Pfarrer warf einen Ring in die Wassermassen und so glätteten sich die Wogen.
Dass Überschwemmungen hier reißende Sturzbäche auslösen können, wird uns beim Abstieg durch eine steile Schlucht klar, durch die wir ins Tal von Cembra kommen. Und das sieht dann schon sehr italienisch aus: mit terrassenförmigen Weinbergen und Obstplantagen, mit kleinen Örtchen, die sich um hohe Kirchtürme gruppieren.
Wir laufen durch die verwinkelten Gassen von Fadana und Faver, laut Schildern Zentrum der Grappa-Produktion. Am frühen Nachmittag sind diese Dörfer wie ausgestorben. Vor 16 Uhr macht hier kein Laden und kein Café auf. Immerhin spenden die zahlreichen Brunnen Abkühlung.
Auf einem Plateau auf der gegenüberliegenden Talseite können wir unser Ziel ausmachen, Segonzano. Gleich hinter dem Ort ragen die Piramidi di Segonzano aus dem Wald, Erdpyramiden, wie es sie an verschiedenen Orten Südtirols zu bewundern gibt, etwa am Schloss Tirol oberhalb von Meran. Ein Stein wirkt dabei als Dach für die darunterliegenden Schuttschichten. Statt die Spitze abzutragen, tropft das Regenwasser am Rand des Steins herunter, transportiert auf dem Weg die Säule entlang Lehm, der sich wie eine Zementschicht absetzt. So überstehen die Pyramiden Jahrtausende.
Auf dem Dürerweg durch das Valle di Cembra
Wie kommen wir aber nun auf die andere Talseite? Natürlich über eine Brücke im Talgrund. Dort rauscht der Avisio mit dem Schmelzwasser der Marmolata-Gletscher Richtung Etsch. Die Brücke darüber wurde 2007 neu errichtet, der Handelsweg zwischen der germanischen und der lateinischen Welt aber schon seit dem Mittelalter genutzt. An dieser Stelle kommt man nicht umhin, Albrecht Dürer zu erwähnen. Besser als mit “E5” ist unser Weg heute nämlich als “Sentiero del Dürer”, als Dürerweg, ausgeschildert.
1494 war der junge Maler auf dem Weg von Nürnberg nach Venedig, musste aber wegen Überschwemmungen im Etschtal einen Umweg über das Cembratal nehmen. Das gefiel ihm so gut, dass er die Gegend in zwei Aquarellen verewigte, das “Welsch Pirg” und das “Welsch Schloss” mit dem Castello di Segonzano. An der Ruine der Burg kommen wir beim Aufstieg nach Segonzano vorbei. Ein aus Draht geflochtenes Modell eines Baumstumpfs erinnert hier an ein weiteres Werk Dürers, zu dem ihn die Kastanienbäume der Gegend inspiriert haben dürften.
Insgesamt ist der Dürerweg knapp 40 Kilometer lang und führt von St. Florian an der Etsch bis eben Segonzano. Been there, done that.
Einigermaßen erledigt sinken wir schließlich vor unserer Unterkunft, dem Drei-Sterne Hotel Alle Piramidi, in die Plastikstühle. Zum Glück dauert es nur ein paar Minuten bis ein kühles Bier vor mir steht. Und das ist noch nicht der Gipfel der Erfrischung, denn das Hotel verfügt über einen Pool. Nur einen kleinen zwar, aber immerhin. Dafür habe ich nur zu gerne eine Badehose durch die Berge getragen.
Deutschland fliegt raus
Ewig Zeit haben wir aber nicht zum Planschen, schließlich spielt um 18 Uhr Deutschland. Also versammeln sich bald alle in der Hotellobby vor einem großen Fernseher. Das 0:2 gegen England tragen wir mit Fassung. Immerhin müssen wir uns die nächsten Tage nun keine Gedanken mehr machen, wie und wo wir Fußball schauen können.
Wieder wird uns ein vorzügliches Abendessen serviert. Auffällig ist die Disziplin, mit der Personal und Gäste des Hotels ihre Masken tragen. Da zwingen wir uns auch wieder zu mehr Sorgfalt in Sachen Pandemieschutz - auch wenn wir bis auf einen alle bereits geimpft sind.
Unterkunft: Hotel Alle Piramidi, Segonzano
Wegstrecke: 22,5 km
Höhenmeter: +620 / -1.260
Nützliche Links
trentino.com - über das Cembratal
Outdooractive - Details und Karten zur Planung des E5-Südteils
Europawanderweg 5 - E5-Programm des DAV Mainz
Südtirol Mobil - Fahrplansuche für Bus und Bahn