So, 27. Jun 21
Schneiderwiesen (1.400m) - Oberradein (1.570m)
Der erste “echte” Wandertag hat einige kulturelle und landschaftliche Highlights für uns in petto, etwa Südtirols bedeutendsten Wallfahrtsort und einen gewaltigen Canyon, in dem sich Abermillionen Jahre Erdgeschichte nachlesen lassen. Los geht er aber recht gemütlich.
Nach einer erholsamen Nacht in komfortablen Doppelzimmern treffen wir uns um 7 Uhr am Frühstücksbuffet. Von spartanischer Berghüttenkost sind wir da weit entfernt, aber schließlich soll die Tour in die Kategorie “Genusswandern” fallen. Wobei die heutige Etappe zumindest auf dem Papier durchaus knackig daherkommt: Über 22 Kilometer sind es bis zum Zielort Oberradein, um die 1.000 Höhenmeter Aufstieg zu bewältigen.
Als wir uns zum Abmarsch bereitmachen, erzählt uns der Wirt des Gasthofs Schneiderwiesen noch ausgiebig von einem der Aufregerthemen unter der hiesigen Landbevölkerung, den Wölfen nämlich, die auch in Südtirol immer mehr ihres ursprünglichen Lebensraums zurückerobern. Ein zweischneidiges Schwert, denn so sehr diese Tiere ein Existenzrecht haben, so nachvollziehbar ist die Sorge der Bauern um ihr Vieh auf den Weiden. Die auch im Sinne der Artenvielfalt so wertvolle Almwirtschaft lässt sich schlecht in Wolfsrevieren aufrecht erhalten. Allerdings ist der Wolf erstmal nicht mehr die Sorge unseres Gastgebers, denn die Raubtiere sind mittlerweile alle auf die Berge auf der anderen Seite des Etschtals verbracht worden. Wie lange es wohl dauert, bis dann doch wieder welche einwandern?
Was passiert hier mit dem Wald?
Um das komplizierte Geflecht aus Wirtschaft, Kultur und Natur geht es auch unterwegs immer mal wieder, denn als Naturschutzbeauftragter unserer Alpenvereinssektion lässt es sich der Wanderführer nicht nehmen, das eine oder andere zum Kreislauf des Waldes zu erläutern. Der wird auch in dieser Region intensiv ökonomisch genutzt und das bedeutet: Es stehen jede Menge Fichten herum. Und weil die nunmal ziemlich flache Wurzeln ausbilden, fallen sie im Sturm schnell um. Und Stürme gab es in den letzten Jahren reichlich.
Von Natur aus typisch für diese Mittelgebirgslage am Fuße der ganz hohen Gipfel ist freilich Mischwald. Dem kann man in der Gegend auch hier und da gut beim Nachwachsen zusehen. Interessant sind die Hochmoore, an denen wir vorbeikommen - aber uns nicht länger aufhalten. Dafür sorgen die Mücken, die in Schwärmen über uns herfallen, sobald wir irgendwo stehenbleiben.
Als wir an einem Hof vorbeikommen, wird statt der Blutsauger ein Hund zu unserem Wegbegleiter. Bis er einen plattgefahrenen Tierkadaver auf der Straße findet. Da wirft er sich auf den Rücken und wälzt sich genüsslich darauf herum. Lecker.
Gegen elf kommen wir durch Deutschnofen, das sich als Ort für die erste Übernachtung anbietet, wenn man die Wanderung in Bozen startet und nicht an den Schneiderwiesen unterkommt. Auf einem noch recht weit entfernten Hügel auf der anderen Talseite sehen wir die Turmspitzen der Wallfahrtskirche Maria Weißenstein zwischen den Bäumen aufragen. Nach einem schweißtreibenden Anstieg erreichen wir die um kurz vor eins. Mittagessen!
Nicht dem Heißhunger nachgeben!
Zur Verköstigung der Pilger gibt es auf dem Gelände ein großes Selbstbedienungsrestaurant. Die tatsächliche Auswahl an Speisen stimmt zwar nicht mit dem Angebot auf der Karte überein, aber eine geteilte Portion Tortellini reicht allemal zur Stärkung. Wir wollen uns nicht zu sehr den Bauch vollschlagen, schließlich liegen noch einige Kilometer Wanderweg vor uns.
Natürlich werfen wir dann auch mal einen Blick in die barocke Basilika, den “Dom der Dolomiten”. Der Ursprung von Maria Weißenstein geht auf eine Kapelle zurück, die ein Bergbauer errichtet hatte, nachdem ihm nach einem Sturz in eine Schlucht die Muttergottes erschienen war.
Wir benötigen Kopfschutz
Wir bleiben auf dem weiteren Weg von Stürzen und Halluzinationen verschont. Damit Wandernde auch sicher durch die Bletterbachschlucht kommen, gilt hier Helmpflicht. Nun muss man wegen der paar hundert Meter durch die Schlucht nicht eine Woche lang einen Helm durch Italien tragen, der kann kostenlos im Besucherzentrum geliehen werden.
Weil es mittlerweile doch ganz schön warm geworden ist und die Einkehrmöglichkeit am Weg liegt, erfrischen wir uns vor dem Abstieg in die Schlucht noch auf der Terrasse der Lahneralm. Dann geht es auf dem Jägersteig über unzählige Stufen 400 Meter hinab in das Bett des Bletterbachs.
Die Entstehung des “Grand Canyons Südtirols” ist nicht allein dem Bach zu verdanken, sondern einem eiszeitlichen Gletscher, der eine ganze Flanke des 2.300 Meter hohen Weißhorns abfräßte, so dass die Erosion in den folgenden 15.000 Jahren bis zu 280 Millionen Jahre alte Gesteinsschichten freilegen konnte. Entsprechend reich an Fossilien ist die insgesamt acht Kilometer lange Schlucht, durch die der E5 ein Stückchen führt.
Übernachten werden wir auf einem Bauernhof
Es folgt ein letzter Anstieg auf das Plateau des Bauerndorfs Oberradein. Der Thomaserhof bietet uns hier Quartier, ein Jahrhunderte alter Hof mit überraschend modernen Gästezimmern. Werner geht noch schnell beim Geo-Museum die Helme abgeben, während wir bei einer Runde Kaltgetränke im Schatten sitzend das Regenerationsprogramm starten.
Das Abendessen wird dann in der holzvertäfelten Stube des Hofs serviert: Brennnesselknödel, Gulasch, Polenta, Tiramisu… Erwähnte ich schon das Wort “Genusswandern”?
Unterkunft: Thomaserhof, Oberradein - 3er-Zimmer inkl. HP 45 EUR pP
Wegstrecke: 25,5 km
Höhenmeter: +1.200 / -800
Nützliche Links
Eggental - offizielle Website des Verkehrsamtes der Ferienregion
Outdooractive - Details und Karten zur Planung des E5-Südteils
Europawanderweg 5 - E5-Programm des DAV Mainz
Südtirol Mobil - Fahrplansuche für Bus und Bahn