Do, Sep 27, 2018
Was machen wir eigentlich hier in Sault Ste. Marie? Das steht ja nun nicht ganz oben auf der To-do-Liste der meisten Kanada-Ersttäter. Nun, ich hatte die Stadt wegen ihrer Nähe zum Lake Superior Provincial Park und wegen der mutmaßlich malerischen Bahnfahrt in den Agawa Canyon in unsere Route eingebaut. Das mäßige Wetter zwingt uns allerdings zum Improvisieren.
Um über 120 Dollar pro Person in den tagesfüllenden Ausflug mit dem Agawa Canyon Tour Train zu investieren, sollten die äußeren Umstände schon perfekt sein. Da hätten wir uns blauen Himmel und leuchtend buntes Herbstlaub gewünscht. Stattdessen in der Vorhersage: Wolken, Wind und Schauer. Und vom Peak ist die Laubfärbung in der Gegend auch noch ein bisschen entfernt. Also knicken wir das mit der Zugfahrt und hoffen für morgen auf besseres Wetter, um dann im Lake Superior Provincial Park wandern zu gehen.
Was nun aber mit diesem Tag in Sault Ste. Marie anstellen? Das Busch-Flugzeug-Museum soll sehenswert sein und natürlich der historische Schleusenkanal am St. Marys River. Der ist heute eine National Historic Site, also eine nationale Gedenkstätte, und umfasst auch einige Kilometer Wanderwege auf einer Insel mitten im Fluss. Aber wenn schon Schleusen, dann richtig. Dann will ich da auch durchfahren! Genau das kann man machen. Die Boote legen allerdings nur von der amerikanischen Seite aus ab, also von Sault Ste. Marie in Michigan.
Michigan, wir kommen!
Als ich Conny vorsichtig den Vorschlag unterbreite, einen Ausflug in die USA zu unternehmen, ist sie gleich begeistert, denn dann könnte sie dort im Walmart nach dem Shampoo schauen, das sie gestern im hiesigen Supermarkt nicht bekommen hat. Dann dürfen wir aber jetzt nicht herumtrödeln, um 10 Uhr geht das nächste Boot und das Prozedere an der Grenze dürfte ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. ESTA, die elektronische Einreisegenehmigung für die USA, haben wir nicht mehr.
Wir beenden das - übrigens ganz entspannt im gar nicht überfüllten breakfast room eingenommene - Frühstück, packen unsere Reisepässe ein und folgen den Verkehrsschildern Richtung USA. Das als Folge des Britisch-Amerikanischen Krieges und der danach erfolgten Grenzziehung seit 1815 geteilte Sault Ste. Marie wird seit 1962 von einer riesigen Brückenkonstruktion, der International Bridge, überragt. Die ist auf über 1.200 Kilometern der einzige Grenzübergang, dazwischen nur Wasser. Am Ende der Brücke erwartet uns die Passkontrolle.
Grenzer und Humor - ein ungleiches Paar
Wir werden in die Grenzstation geschickt, wo wir ein zweiseitiges Formular ausfüllen, uns die Fingerabdrücke abnehmen und ein Foto machen lassen sowie sechs Dollar Gebühr bezahlen müssen. Was denn der Grund für die Einreise sei, werde ich gefragt. "Visit the locks", ist meine Antwort, wir wollen die Schleusen besuchen. "But you just saw them from the bridge", entgegnet der Beamte. Ja, haha, witzig. Irgendwie sind wir erleichtert, als wir mit Stempel und drei Monate gültiger Aufenthaltsgenehmigung im Ausweis weiterfahren dürfen.
An der Ausfahrt werden dann gleich nochmal vier Dollar Maut für die Brücke fällig. Der Abstecher nach Michigan wird langsam teuer.
Gesparte Dollars sind verdiente Dollars
Fünf vor zehn fahren wir auf den Parkplatz für die Soo Locks Boat Tour. Aber kein Problem, natürlich dürfen wir noch bei der 10-Uhr-Cruise mitfahren. Ungefragt erwähnt die Frau an der Kasse, dass es Rabatt nur für aktive oder ehemalige Militärangehörige gibt. "The German military doesn't count, I guess", sage ich. Worauf sie ganz aufgeregt nachfragt: "Oh, have you been?" Ja, klar, musste ja sein damals. Da freut sie sich und erzählt uns wie sehr ihr die Stationierung in Darmstadt gefallen hat. So kommen wir zum ersten Mal in den USA zu einem military discount. Vielleicht sollte ich das Thema öfter erwähnen. Veteranen haben schließlich freien Eintritt in den amerikanischen Nationalparks. Der Wehrdienst hätte sich doch noch gelohnt.
Das Tor zum Westen
Was macht die Schleusen hier zu einer Touristenattraktion? Vor allem ihre überragende Bedeutung für die Erschließung des Mittleren Westens. Schließlich verbinden sie den riesigen Lake Superior mit dem Lake Huron und damit die Kornkammern Zentralkanadas und die Rohstofflager rund um die Großen Seen mit den Metropolen an deren südlichen Rändern. Schon ab 1798 hatte es am nördlichen Ufer des St. Marys River einen Kanal um die Stromschnellen mit ihrem Gefälle von sieben Metern gegeben, der aber im bereits erwähnten Krieg 1814 zerstört wurde. 1855 hatte der Staat Michigan dann eine neue Anlage gebaut.
Aus vier Kammern bestehen die Schleusen heute, wobei zwei davon seit über 30 Jahren stillliegen und darauf warten, dass der Kongress das Budget zu deren Umbau bewilligt. Ich denke, das wird nichts mehr. 10.000 Schiffe, vor allem Erz- und Getreidefrachter, passieren jedes Jahr die Soo Locks. Dabei sind die von Januar bis März geschlossen, dann legt Eis den Schiffsverkehr lahm. Die Passage ist kostenlos und landet auf dem Deckel der amerikanischen Steuerzahler. Betreiber ist das Ingenieurskorps der US Army.
Seit 1902 brennen die Öfen
Als Passagier auf dem Ausflugsboot darf man einmal den kompletten Schleusendurchgang mitmachen, wobei das bei allem Respekt nur eine mäßig spannende Angelegenheit ist. Sieben Meter höher und damit auf dem Level des Lake Superior passieren wir dann die International Bridge sowie die gleich daneben verlaufende Eisenbahnbrücke und steuern auf das kanadische Ufer mit den rauchenden Schloten des Algoma-Stahlwerks zu, des zweitgrößten des Landes. Der Standort ist traditionsreich, immerhin seit 1902 brennen hier schon die Öfen.
Ich muss unwillkürlich an Donald Trump denken, als uns erzählt wird, dass hier mit Erz aus Minnesota und Kohle aus West Virginia Stahl produziert wird, aus dem wiederum in Detroit Autos gebaut werden. Wer wollte ernsthaft glauben, dass irgendwo der Wohlstand gesteigert würde, wenn diese Handelsströme eingeschränkt würden? Aber ich schweife schon wieder ab.
Kanada hat seine eigene Schleuse
Zurück geht es durch die kanadische Schleuse. Die wird außer von den Touristendampfern nur noch von Freizeitkapitänen genutzt. Ihr Bau war Ende des 19. Jahrhunderts notwendig geworden, um die freie Passage kanadischer Schiffe sicherzustellen. Kanada und die USA lagen damals über den Grenzverlauf im Westen des Kontinents über Kreuz. 1895 wurde der Canadian Sault Ste. Marie Canal eröffnet, zu jener Zeit die längste Schleuse der Welt und die erste elektrisch betriebene. 1987 kollabierte ein Teil der Wand. Danach wurde die heutige, kleinere Anlage in den alten Kanal gebaut, das ganze Gelände kam in die Obhut der Nationalparksverwaltung.
Ja, es lässt sich einiges lernen auf dieser Tour. Nach zwei Stunden haben wir so ziemlich alles erfahren, was sich über irgendein Gebäude entlang beider Ufer erzählen ließe. An dieser Stelle lasse ich zahlreiche Details einfach mal unerwähnt. Etwa dass das Wasserkraftwerk neben dem Bootsanleger mit seiner 400 Meter breiten Front und den 74 Generatoren eines der ältesten der USA ist.
Der Ausflug soll sich lohnen
Zurück in Sault Ste. Marie, Michigan programmieren wir das Navi auf den nächstgelegen Walmart. Conny ist selig, als sie dort vor dem Haarpflege-Regal steht. Wir kaufen denn auch viel mehr ein als gedacht, der Ausflug soll sich schließlich lohnen. Deshalb suchen wir auch noch ein Lokal zum Mittagessen in der überschaubaren Stadtmitte auf. The Wicked Sister stellt sich als gute Wahl heraus: eine coole, kleine Kneipe mit großer Auswahl an Bieren, leckeren Lunchgerichten und einem sehr netten Barkeeper. Ich bin zufrieden mit meinen Käsemakkaroni mit Pulled Pork, Conny mit ihrem Sandwich.
Der Grenzbeamte ist nicht begeistert
Kurz vor halb drei fahren wir am Häuschen des kanadischen Grenzschützers vor. Der ist gar nicht begeistert, dass wir bei der Einreise am Flughafen von Toronto keinen Stempel in den Pass bekommen haben. "Unreal", flucht er. Ich denke mir ja, dass das egal sein muss, weil er uns doch wahrscheinlich eh in seinem Computer findet. Er will dann noch wissen, ob wir den weißen Zettel mit der Aufenthaltsgenehmigung für die Vereinigten Staaten noch bräuchten - "or are you done with the States." Nee, wir sind done. So was von. Könnense behalten. Alles klar, weiterfahren.
Wir sind noch ein bisschen in Shopping-Laune, also fahren wir an der Station Mall vorbei, einem großen Einkaufszentrum in der Innenstadt. In einem gut sortieren Sport- und Outdoorladen erstehen wir ein paar Kleidungsstücke, dann fahren wir ins Hotel zurück, wo ich Pool und Hot Tub einen Besuch abstatte.
Vielleicht Zufall...
Abendessen gibt es wieder auf der anderen Straßenseite bei Wacky's - Riblets und Wings. Dabei amüsieren wir uns nochmal über die lustigen Begegnungen, die wir heute hatten. War ein ganz und gar nicht so geplanter, aber dann doch interessanter Tag.
Und wir wissen, dass es eigentlich Quatsch ist, aber drüben in den USA haben wir uns gleich wieder heimisch gefühlt. Und waren da nicht alle viel freundlicher? Also, nicht dass die Kanadier unfreundliche Menschen wären, im Gegenteil. Aber sie sind doch etwas zurückhaltender als ihre immer gleich überschwänglich reagierenden Nachbarn im Süden. Wir hätten nie gedacht, dass uns das so schnell - oder überhaupt - auffallen würde. Wenn da nur nicht dieser Typ im Weißen Haus und die Leute, die ihn da hineingewählt haben, wären...
Gefahrene Kilometer: 38
Unterkunft: Fairfield Inn & Suites, Sault Ste. Marie - 103 EUR via booking.com
Nützliche Links:
OntarioTravel - Official Website of Tourism in Ontario
Welcome to the Soo - Homepage von Sault Tourism
Fall Colours - die Ontario Parks Website informiert über den Stand der Laubfärbung
Kevin's Report - wöchentlicher Bericht zur Laubfärbung
TripAdvisor Ontario Travel Forum - beantwortet alle Fragen