2019 MHW 8
Blick vom Schloss auf Dorf Tirol

Di, 2. Juli 2019

DIE WIEGE TIROLS

Das Wanderabenteuer liegt hinter uns. Bevor es am nächsten Tag über den Brenner zurück in den Alltag geht, wollen wir noch etwas ausspannen. Und für ein bisschen Sightseeing haben wir auch allemal Zeit.


An unserem Ruhetag haben wir so gar nicht eilig mit dem Aufstehen. Trotzdem sind wir die ersten beim Frühstück. Hier unten im Tal ticken die Uhren eben etwas anders als auf den Höfen und Hütten oben am Berg. Der Himmel ist noch immer wolkenverhangen, das mit dem Poolbesuch müssen wir verschieben.


Zum Geldabheben gehen wir in der Dorfmitte vorbei, dann machen wir es uns lesend auf dem Balkon gemütlich. Um die Mittagszeit haben wir dann endlich wieder blauen Himmel über uns und beschließen, noch einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Das Schloss Tirol, einst Wiege der Grafschaft und heute Landesmuseum, liegt in Sichtweite, da wollen wir mal vorbeischauen.


Es gibt Hoodoos in Südtirol


Gleich neben der Pension beginnt ein Panoramaweg den Hang hinauf. Ich gehe den in Flip-Flops, da ich wirklich so gar keine Lust mehr auf Wanderstiefel habe. Würde ich allerdings nicht zum Nachmachen empfehlen. Der Weg ist doch recht steil und geröllig. Er führt um eine Schlucht mit wunderlichen Steinformationen, den Tiroler Erdpyramiden. In Amerika nennt man solche durch Erosion entstandenen Säulen ja Hoodoos. So spektakulär wie im Bryce Canyon sind die hier natürlich nicht, aber doch interessant anzuschauen.


Nach einer guten halben Stunde haben wir Schloss Tirol erreicht. In dessen dicken Gemäuern ist es angenehm kühl. Der Rundgang führt durch verschiedene Räume der im Laufe der Jahrhunderte ständig erweiterten und umgebauten Burg. Die ältesten freiliegenden Mauern und Balken stammen aus einer Zeit um 1100, es gibt also jede Menge Geschichte und Geschichten zu entdecken.


Ein Stück müssen wir wieder hoch zum Eingang
Im ältesten Teil der Burg
Im ältesten Teil der Burg
Blick das Etschtal hinunter
Oben links: unsere Pension
Kreuzigungsgruppe
Schloss Tirol
Schloss Tirol
Blick auf Dorf Tirol und Meran
Im Burghof
Schloss Tirol
Brunnenburg

Als am interessantesten erweist sich aber der Turm der Erinnerungen im Bergfried. In den wurde eine Eisenkonstruktion mit 20 Etagen eingelassen, auf der es sich durch die Geschichte Südtirols im 20. Jahrhundert wandern lässt. Und die war sehr bewegt, geriet Tirol doch gut hundert Jahre nach der Befreiung von Napoleon und Bayern wieder zwischen die Räder der Großmächte. 


Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der über die Jahrhunderte gewachsene Kulturraum zwischen Österreich und Italien aufgeteilt. Richtig interessant wurde es dann in der Zeit des Faschismus, denn einerseits wollte Mussolini Südtirol italienisieren, es sich andererseits aber auch nicht mit Hitler verscherzen. Immerhin enthielt die deutsche Nationalhymne damals ja was mit “Von der Etsch bis an den Belt”. Also einigten sich die beiden Diktatoren auf einen Kuhhandel: Die deutschsprachigen Südtiroler durften nach Deutschland übersiedeln und würden dort Wohnung und einen Arbeitsplatz gestellt bekommen - die sogenannte “Große Option”.


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Die Antwort ist: Freiheit


Tatsächlich wanderten 75.000 Südtiroler ins Deutsche Reich aus, dann stoppte der Sturz Mussolinis, die anschließende Besetzung durch die Wehrmacht und schließlich das Kriegsende den Irrsinn. Das Pariser Abkommen von 1946 garantierte der deutschsprachigen Minderheit die Gleichstellung ihrer Sprache, weitgehende kulturelle Freiheiten und eine gewisse politische Autonomie. 20.000 Optanten kehrten in ihre Heimat zurück.


Es sollte freilich noch Jahrzehnte dauern, ehe mit dem Europäischen Einigungsprozess endlich Frieden zwischen den Volksgruppen einkehrte. Der ist auch heute noch überaus fragil und sobald in Wien oder Rom nationalistische Kräfte Aufwind bekommen, geht das Gezerre um Südtirol von Neuem los. Der Besuch der Dauerausstellung im Schloss Tirol führt einem mal wieder vor Augen, dass die Antwort auf die Probleme Europas die Freiheit ist, dass der grenzenlose Verkehr von Menschen und Waren Frieden und Wohlstand sichert.


Am Ende haben wir über zwei Stunden im Schloss Tirol verbracht.


Ins Dorf geht's durch das Knappenloch


Nun knurrt etwas der Magen, also beschließen wir, direkt zum Abendessen im Dorf einzukehren. Wir wandern durch das Knappenloch, einen schon 1682 unterhalb von der Burg durch einen Hang getriebenen Tunnel, und genießen noch einmal einen herrlichen Blick auf Schloss Tirol und die benachbarte, ebenfalls sagenumwobene Brunnenburg.

Im Törggelekeller Zur Dorfmühle stillen wir mit einer großen Portion Schnitzel und Bratkartoffeln den Hunger. Anschließend holen wir uns ein Eis und spazieren zwischen den Apfelbäumen hindurch zurück zum Praidlerhof. Mit der untergehenden Sonne gönnen wir uns dort noch ein Bad im Pool und anschließend den einen oder anderen Absacker auf der Terrasse.


Weltuntergang am Brenner


Wie viel Glück wir auf dieser Tour mit dem Wetter hatten, erweist sich dann auf der Rückreise am nächsten Tag. Als unser Regionalzug pünktlich um 11:47 Uhr den Bahnhof von Meran verlässt, platschen die ersten dicken Regentropfen gegen die Scheiben. In Bozen scheint zwar noch die Sonne, aber was sich dann auf dem Brenner abspielt, grenzt an Weltuntergang. Am nächsten Tag lese ich, dass einige Wanderer in der Gegend vom Unwetter überrascht und ums Leben gekommen sind. Tragisch! Wir dagegen kommen sicher daheim in Mainz an.


Nützliche Links

Meraner Höhenweg - Etappenplanung, Unterkünfte, Wissenswertes

Bergwelten - schöner Artikel zur Einstimmung

Meraner Land - interaktive Karte mit aktuellen Infos zu Sperrungen

Südtirol Mobil - Fahrplansuche für Bus und Bahn