2018 Karwendel 3
Auf dem Goetheweg

Mi, 11. Juli 2018

ZWISCHEN WILDNIS UND GROßSTADT

Die dritte und längste Etappe der Tour führt  vom Solsteinhaus über den Gipfelstürmerweg und den Goetheweg zur Pfeishütte. Eine Wanderung voller Kontraste zwischen dem wilden, schroffen Karwendelmassiv und dem dicht besiedelten Inntal.


Etwa acht Stunden Gehzeit sind für heute zu veranschlagen. Um 7:45 Uhr breche ich vom Solsteinhaus auf, überhole auf dem Weg hinunter Richtung Möslalm drei mit mir gestartete Wanderer und tauche in der “Wilden Iss” ein in dichten Wald aus Tannen und Bergahorn.



Ab einer idyllischen kleinen Jagdhütte folge ich dem Gipfelstürmerweg. Das klingt, als ob es ab jetzt viel bergauf gehen würde, und dem ist auch so. Der Anstieg beginnt allerdings noch einigermaßen gemächlich durch den Wald. Die hier weidenden Kühe sind ganz klar Chef und denken nicht daran, mir Platz zu machen. Der Klügere gibt nach und sucht sich einen Weg um die Tiere herum.


An einem Brunnen lege ich eine Pause ein, dann führt mich ein schmaler Pfad über einen mit Latschen und Gras bewachsenen Rücken, den Hippen. Es folgt ein kurzer, sehr steiler Abstieg in einen Geländeeinschnitt, in dem sich die Wolken nun richtig schön festkrallen.


Bring mich zum Schotter!


Aus dem Hang über mir höre ich Steinschlag - eine Herde Gämse kommt herunter gerast und quert meinen Weg, die Kleinen bedingungslos jedem Sprung der Mütter folgend. Angesichts des dichten Nebels mutet die Hatz einigermaßen halsbrecherisch an, aber ich schätze, die Tiere kennen sich hier aus. Ich dagegen muss mir nach der Querung eines Schneefelds mühsam einen Weg über Schotter suchen, um zum nächsten Wegweiser Richtung “Frau Hitt” zu kommen.



Frau Hitt soll einer Sage nach eine Riesenkönigin gewesen sein, die so geizig war, einer Bettlerin nur einen Stein zu essen anzubieten. Die so Verspottete verfluchte die Riesin samt Pferd, die daraufhin als ewige Strafe zu Stein verwandelt wurde. Und nun sitzt sie irgendwo da oben auf der Nordkette als Felsnadel.


Nach dem Schotterfeld geht es am Draht ein Stück Fels hinauf, wofür man unbedingt zwei freie Hände braucht, auf ein hübsch mit Alpenrosen und niedrigen Latschen bewachsenes Plateau. Kurz reißen die Wolken auf und geben den Blick frei ins grüne Kleinkristental und auf die schroffen Bergspitzen ringsum. Im Anstieg durch das Frau-Hitt-Kar zieht aber schnell wieder alles zu, kaum 30 Meter weit reicht die Sicht.


Die letzten etwa 200 Höhenmeter zum Sattel sind dann pure Qual. Einen Weg gibt es nicht, man stolpert durch Geröll, das unter jedem Tritt nachgibt und einen jedes Mal wieder einen halben Schritt abrutschen lässt oder gleich ganz aus dem Gleichgewicht bringt. Zum Glück hat das mit mir heute Morgen gestartete Trio aufgeschlossen, so muss ich nicht allein die Spur ziehen. Am Ende geht es über blanken Fels und an Drahtseilen rauf zum Ein- oder Ausstieg des Innsbrucker Klettersteigs. Geschafft! Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine derart unangenehme Passage raufgekraxelt zu sein. Die anderen sind mit mir einer Meinung, dass das Frau-Hitt-Kar einfach nur furchtbar ist.


Hoch über Innsbruck


Im Abstieg durch den ausgesetzten Schmidhubersteig lasse ich die Drei wieder hinter mir und erreiche über grüne, als Schafweiden genutzte Hänge oberhalb Innsbrucks die Seilbahnstation Seegrube. Die Sicht ist hier gleich null. Enttäuscht stöbern die asiatischen Touristen im Souvenirladen nach Andenken. Es ist halb zwei vorbei, seit bald sechs Stunden bin ich unterwegs, höchste Zeit für ein Mittagessen. Ich lasse mir eine Kaspressknödelsuppe und ein alkoholfreies Weizen schmecken.


Nach der Tortur am Frau-Hitt-Sattel habe ich keine Lust auf die 360 Höhenmeter Aufstieg zum Hafelekarhaus und nehme die Seilbahn. Die 4,10 EUR für die einfache Bergfahrt sind die beste Investition des Tages.



Auf dem Goetheweg über die Nordkette


Auf der Innsbruck zugewandten Seite der Bergkette beginnt unterhalb der 2.334 Meter hohen Hafelekarspitze der Goetheweg. Warum der so heißt, ist nicht ganz klar. Goethe selbst war kein Freund der Berge und jedenfalls hier oben ganz sicher nicht unterwegs. In Italienische Reise schrieb er zu seinem kurzen Aufenthalt in der Gegend: "Innsbruck liegt herrlich in einem breiten, reichen Tal, zwischen hohen Felsen und Gebirgen. Erst wollte ich dableiben, aber es ließ mir keine Ruhe." Ciao!


Für einige Jahre hieß der Steig auch Hermann-Buhl-Weg, nach dem berühmten Innsbrucker Bergsteiger, der 1953 als erster Mensch den Nanga Parbat bestieg. Irgendwann dachte sich aber wohl der Fremdenverkehrsverein, dass so ein von einer Seilbahn erschlossener Spazierweg vielleicht doch kein passendes Andenken für den Alpinisten wäre, und dass Goethe eh immer zieht.


Auffällig eben ist der Weg auf den ersten eineinhalb Kilometern. Zu verdanken ist das dem nie realisierten Plan, hier eine Schmalspureisenbahn zu bauen. Worauf man Anfang des 20. Jahrhunderts halt so kam…



Zwischen Gleirsch- und Mandlspitze quert der Goetheweg dann die Nordkette, auf deren Rückseite schön der scheibenförmige Aufbau des Gebirges zu erkennen ist. Weit geht die Sicht nun ins einsame, von der Sonne beschienene Mandltal und augenblicklich ist man der Großstadt Innsbruck wieder entrückt.


Eine Berghütte wie aus dem Bilderbuch


An der Mandlscharte ist der letzte Anstieg des Tages zu bewältigen, mit 2.314 Metern der höchste Punkt der heutigen Etappe. Im Gegensatz zum Frau-Hitt-Sattel führt hier aber ein ordentlich angelegter Serpentinenweg über das Joch. Jetzt geht es nur noch bergab, gute zwei Kilometer sind es bis zur Pfeishütte.



Die “Darmstädter” kommen mir entgegen. Sie haben den einfacheren Weg vom Solsteinhaus über die Möslalm und das Salmtal hinauf zur Pfeis genommen und berichten von einer herrlichen Wanderung durch an einen Felsengarten erinnernde blühende Landschaft. Oh Gott, klingt das toll! Nun gut, ich hatte meine sportliche Herausforderung und habe sie gemeistert. Rückblickend muss ich aber zugeben, dass ich dabei auch an meine Grenzen gestoßen bin und diese Wanderung so nicht noch einmal machen würde.


Achteinhalb Stunden nach dem Aufbruch vom Solsteinhaus erreiche ich die Pfeishütte. Die ist urgemütlich und wirklich eine Alpenvereinshütte, wie aus dem Bilderbuch. Seit 2016 ist sie sogar denkmalgeschützt. Ich beziehe ein Bett in einem Sechserzimmer, nehme eine dringend benötigte Dusche und mache es mir dann in einem Liegestuhl auf der Sonnenterrasse gemütlich. Der selbstgerechte Stolz auf meine heute vollbrachte Leistung wird nach einer Stunde durch die Ankunft der drei zwischenzeitlichen Mitwanderer erschüttert, die berichten, auf die Unterstützung der Seilbahn zwischen Seegrube und Hafelekar verzichtet zu haben. High Five!



Der Abend endet in geselliger Runde mit Kniffel und Zirbenschnaps. Ich lasse mir von Hüttenwirt Michl erklären, wo man am besten nach Steinböcken Ausschau halten sollte. Nach den zahlreichen Gämsen, von denen es auch um die Pfeishütte einige gibt, will ich doch unbedingt auch noch die Könige des Hochgebirges zu Gesicht bekommen. Michl meint, das dürfte morgen im Anstieg zum Stempeljoch kein Problem sein. Um die 50 Tiere lebten mittlerweile wieder in der Gegend. Gute Aussichten also.


Unterkunft: Pfeishütte - 12 EUR + 27 EUR Halbpension

Wanderung: 16,5 km

Höhenmeter: +1.303 / -1.187


Nützliche Links

Karwendel Höhenweg Tirol - offizielle Website mit allen Infos

Bergwelten - der Karwendel Höhenweg als Tourentipp

Alpenvereinshütten: Karwendel Höhenweg - Broschüre des Alpenvereins als PDF inkl. Karten