2018 Karwendel 4
Lafatscher Joch

Do, 12. Juli 2018

DOPPELT HÄLT BESSER

Als ob die 8-Stunden-Tour gestern nicht schon wahnsinnig genug gewesen wäre, nehme ich mir heute gleich zwei Etappen des Karwendel Höhenwegs vor. Teil 4 zur Bettelwurfhütte will ich bis zum Mittag hinter mich bringen, um dann direkt Teil 5 zum Hallerangerhaus dranzuhängen. Zeitlich sollte das gut passen - nur was würde mein Körper nach der gestrigen Tortur dazu sagen? Ich werde es herausfinden.


Um Punkt 8 Uhr bin ich der Erste, der sich von der noch im Schatten liegenden Pfeishütte auf den Weg zum Stempeljoch macht. Der ist breit und recht bequem zu gehen und Teil der Fernwanderwege Via Alpina und Adlerweg. Vom Thaurer Joch rechts oben nähert sich wie vom Hüttenwirt gestern Abend versprochen eine Gruppe Steinböcke. Toll!



Richtig alpin ist dann der Abstieg durch die Schotterreise am Stempeljoch. Irre, was die Wegebauer hier angelegt haben! Ich will gar nicht wissen, wie oft im Jahr dieser Steig aus Brettern, Stiften und Gummiringen ausgebessert werden muss. Jeder Tritt will voll konzentriert gesetzt sein, ein Sturz in dem steilen Gelände würde kaum glimpflich ausgehen.



Auf den Spuren der Wilden Bande


Nach einer Viertelstunde habe ich das Ärgste hinter mir und erreiche über ein Schneefeld den Wilde-Bande-Steig. Die Wilde Bande war eine legendäre Bergsteigergesellschaft, die sich 1878 gründete und 1929 diesen Weg hoch über dem Halltal anlegte. Der ist so richtig nach meinem Geschmack und äußerst abwechslungsreich, dabei aber mehr oder weniger auf einer Höhe bleibend.


Wo das Inntal nun in Sicht ist, komme ich auch wieder in Mobilfunkreichweite. Auf der Pfeishütte hatte es weder Internet noch Telefon, so dass ich erst jetzt schauen kann, ob Kroatien oder England im WM-Finale steht. Ich freue mich, auf die richtige Mannschaft gesetzt zu haben. Das andere Halbfinale mit Frankreich und Belgien hatte es live im Seminarraum des Solsteinhauses gegeben, was bei den zahlreichen kleinen Jungs für Begeisterung gesorgt hatte. Der Ausgang des Spiels allerdings weniger. Anscheinend sind Belgiens Fußballer bei den jüngsten Fans gerade sehr angesagt. Auch an Conny daheim sende ich ein Lebenszeichen.



Der einzig nennenswerte Anstieg auf dem Wilde-Bande-Steig führt etwa 100 Höhenmeter hinauf zum Lafatscher Joch. Das erreiche ich um halb elf. Nun muss ich mich entscheiden: Weiter zur Bettelwurfhütte oder direkt zu meinem heutigen Ziel, dem Hallerangerhaus, zu dem es keine Stunde zu gehen wäre. Da ich mir so einen faulen Tag nicht durchgehen lassen will, entscheide ich mich für den längeren Weg, lasse mir im Hinterkopf aber die Option offen, eventuell unterwegs umzukehren.


Mittag auf der Bettelwurfhütte


Die Stimme in meinem Kopf wird immer lauter, als ich mich einen steilen Abschnitt des Steigs durch Felsen hinaufmühe. Allerdings kommt dann doch schon recht bald die Hütte in Sicht, was meiner Motivation einen ordentlichen Schub gibt. Wovon ich nichts ahne, sind die Geländeeinschnitte und breiten Geröllhalden, die unsichtbar zwischen mir und dem Ziel liegen, die ich aber allesamt bewältige. Zu verlockend ist die Aussicht auf die Rast auf der Terrasse der Hütte. Um 12:20 Uhr nehme ich genau dort Platz und habe um 12:22 Uhr ein alkoholfreies Franziskaner vor mir stehen, fünf Minuten später dazu eine Suppe mit zwei dicken Kaspressknödeln. Fantastisch!



Fantastisch ist auch die Aussicht von der wie ein Adlerhorst am Berg klebenden Bettelwurfhütte über das Inntal Richtung Alpenhauptkamm. Eine ganze Stunde lang genieße ich die, ehe ich mich von der freundlichen Bedienung verabschiede und den Weg zurück zum Lafatscher Joch antrete. Den kann man gut zwei Mal laufen, für solche Pfade wurde das Wort “Genusswandern” erfunden.


Retour zum Lafatscher Joch


Sehr weit weg scheint das Stempeljoch am Ende des Tals zu sein, über das ich heute Morgen gekommen bin. Aus der Entfernung glaubt man kaum, dass es einen Weg hinauf gibt. Und selbst wenn, würde ich es glatt ablehnen, ihn raufzukraxeln.


Kurz nach drei stehe ich wieder am Lafatscher Joch. Dort begegnen mir die Darmstädter, die Probleme haben, den Weg Richtung Bettelwurf zu finden. Ich versichere Ihnen, dass es da nur einen gibt und sie sich nicht von dem zunächst steilen Anstieg durch die Felsen verwirren lassen sollen. Wir verabschieden uns voneinander, die Drei wollen erst am nächsten Tag die Hallerangeralm erreichen.



Letzte Nacht im Hallerangerhaus


Ich steige nun zwischen Lafatscher, Roßkopf und Speckkarspitze hindurch stets bergab zur Hütte, die ziemlich unvermittelt zwischen den Bäumen auftaucht. Innen ist in dem 1915 errichteten Haus alles nagelneu, auch das Fünferzimmer, in dem ich die letzte Nacht dieser Reise verbringen werde, und die Waschräume samt Duschen, wo man für eine Münze glatt vier Minuten Warmwasser bekommt. Da weiß man nach zwei Minuten schon gar nicht, welche Körperteile man nun noch waschen sollte...



Ich treffe das mir schon bekannte Trio Karin, Chrissi und Alex auf dem Flur. Die hatten sich vom Wirt der Pfeishütte den Aufstieg auf die Speckkarspitze empfehlen lassen - was dank des rechts und links steil abfallenden Grats und der Gipfelhöhe von immerhin 2.621 Metern eine grenzwertige Erfahrung für sie war. Da scheine ich mit meiner Wanderung zur Bettelwurfhütte ja alles richtig gemacht zu haben.


Zufälligerweise sind wir alle im selben Zimmer untergebracht und teilen uns denn auch beim Abendessen einen Tisch. An dem bleiben wir noch lange sitzen, zocken ein paar Runden und genießen den Blick auf das Abendrot am Himmel draußen. Zufrieden mit der tollen Wanderwoche im Karwendel fallen wir schließlich in die bequemen Betten.

Abenstimmung im Hinterautal

Unterkunft: Hallerangerhaus - 12 EUR + 29 EUR Halbpension

Wanderung: 14,7 km

Höhenmeter: +800 / -900


Nützliche Links

Karwendel Höhenweg Tirol - offizielle Website mit allen Infos

Bergwelten - der Karwendel Höhenweg als Tourentipp

Alpenvereinshütten: Karwendel Höhenweg - Broschüre des Alpenvereins als PDF inkl. Karten