Mo, 1. Juli 24
Santnerpasshütte (2.734 m) – Rifugio Micheluzzi (1.860 m)
Einmal quer durch den Rosengarten, über den Antermoia-Pass, durch das Val di Dona und schließlich über den Pas de Ciampai ins Durontal – das ist der Plan für heute. Wir hoffen, dass die Schneeverhältnisse uns keinen Strich durchmachen werden.
Ich schlafe immer nicht besonders gut in großen Höhen. Auch in dieser Nacht wache ich irgendwann mit pochendem Herz auf. Außerdem muss die letzte Halbe weggetragen werden. Aber alles in allem war die Nacht auf der Santnerpasshütte ziemlich angenehm. Das Wetter könnte allerdings ruhig ein bisschen schöner sein.
Als wir um halb neun aufbrechen, haben sich zwar unten im Eggental die Wolken, die vorhin noch über dem Karersee hingen, aufgelöst. Der Himmel über uns bleibt allerdings erstmal verhangen, als wir uns an den Abstieg über das Gartl machen.
Das erste Missgeschick passiert
Wie erwartet, staut es sich an den Seilen. Eine gefühlte Ewigkeit hängen wir hinter einer Frau fest, die nicht weiß, ob sie den nächsten Schritt nun vorwärts, rückwärts oder doch lieber gar nicht machen soll. Ist aber auch eine doofe Stelle, denn die Rinne, durch die die Tritte gehen, endet auf einem Schneefeld. Als sie es schon fast geschafft hat, verliert sie doch noch das Gleichgewicht und rutscht über den Schnee. Zum Glück ist nichts passiert, ihre Begleiter helfen ihr auf.
Ich klettere hinterher, aber wo die Frau auf ihrem Hosenboden runtergerodelt ist, bietet der glatte Schnee nun keinen Halt mehr, es zieht mir den Fuß weg. Ich ramme die Wanderstöcke in den Schnee, aber die verschwinden einfach darin. Wie peinlich ist das, bitte?
Es bleibt nur ein kleiner Sachschaden
Es dauert, bis ich vor allem den linken Stock aus dem Schnee geholt habe. Dessen Spitze ist nun verbogen. Dabei waren die Dinger nagelneu. Bei einem Sturz auf dem Stubaier Höhenweg im letzten Sommer hatte ich erst einen der alten verbogen und mir daraufhin endlich neue Stöcke gekauft. Immerhin bekomme ich ihn wieder halbwegs gerichtet, so dass er sich fast ganz einfahren lässt.
Ohne weitere Unfälle schaffen wir es hinunter zum Hauptweg, dem Dolomiten Höhenweg 8, der von der Vajolethütte zum Grasleitenpass führt. Wir freuen uns, dass nun sogar die Sonne rausgekommen ist. Mal schauen, wie lange das gute Wetter hält.
20 Minuten benötigen wir für den Aufstieg zum Pass mit der gleichnamigen Hütte, die sich in eine Felsnische duckt und gerade eine Baustelle ist samt großem Baukran. Trotzdem hat sie geöffnet. Eine Wandergruppe, die gerade hier rastet, freut sich über frisch gebrühten Espresso. Du kannst in Italien ja wirklich auf den hinterletzten Felssporn kraxeln, du wirst immer noch eine Espresso-Bar finden!
Der Grasleitenpass (2.601 m) markiert den Schnittpunkt zwischen Südtirol und dem Trentino und ist ein wichtiger Übergang vom Fassatal Richtung Schlern und Seiser Alm. Geradeaus, auf der Nordseite des Passes, wartet eine geschlossene Schneedecke auf die Wandernden. Aber da rüber wollen wir gar nicht, sondern rechts ab in der steilen Flanke des Kesselkogels, mit 3.004 Meter der höchste Gipfel im Rosengarten, zum Antermoia-Pass queren.
Schlüsselstelle Antermoia-Pass
Im Vorfeld hatte ich mir etwas Sorgen um diese Schlüsselstelle der heutigen Etappe gemacht, denn wenn wir es nicht über den Antermoia-Pass schaffen, bleibt nur der Abstieg ins Fassatal und eine Busfahrt nach Campitello. Vor ein paar Wochen war hier auch noch alles weiß, nun sind nur noch ein paar kleinere Schneefelder übrig. Wir beobachten, wie eine Gruppe schon mal für uns spurt.
Der Gang über den Schotterhang ist zwar ein bisschen mühsam, aber alles in allem keine größere Herausforderung. Auf der Passhöhe (2.770 m) liegt der Schnee allerdings so hoch, dass der Wegweiser fast komplett darin verschwindet. Deshalb übersehen wir ihn auch erst und laufen in den Gegenanstieg zur Cima de Laussa. Dann entdecken wir auf der anderen Seite des Taleinschnitts eine gut ausgetretene Spur und drehen in deren Richtung um. Es handelt sich um einen Trampelpfad, der an der Ostseite des Kesselkogels zum Einstieg in den Klettersteig zum Gipfel führt. Kommt uns als Alternative zu dem unter Schnee begrabenen Wanderweg weiter unten gerade recht.
Allerdings müssen wir auf den irgendwann zurück. Ein markierter Abstieg ist nicht auszumachen, der dürfte unter Schotterlawinen verloren gegangen sein. Also im Seitschritt den steilen Abhang runter. Wir erreichen den Talboden, staksen noch über ein paar Schneefelder und stehen dann am flaschengrün schimmernden Antermoia-See. Lange ist der Gebirgssee noch nicht aufgetaut. Große Eisbrocken treiben auf seiner Oberfläche.
Nun kommt auch die Antermoia Hütte (2.496 m) in Sicht. Es ist 12:20 Uhr, Zeit fürs Mittagessen. Gerade als wir auf der überdachten Terrasse der Hütte Platz nehmen, fängt es an zu regnen. Timing ist alles. Wir lassen uns Zeit, sitzen über eine Stunde auf der Hütte. Dann hört tatsächlich der Regen auf. Wie viel Glück kann man haben?
Nichts wie runter vom Berg!
Aber zu früh gefreut: Kaum sind wir am Pas de Dona (2.516 m) und damit dem Schluss des Hochtals Antermoia angelangt, setzt der Regen wieder ein. Und wie! Auch ein Donnergrollen kommt näher. Zur Hütte umkehren wollen wir aber nicht, sonst erreichen wir heute nie unser Ziel. Wir sehen einfach zu, so schnell es geht vom Berg zu kommen.
Das Gewitter bleibt zum Glück nicht direkt über uns hängen, die Regenwolken schon. Wir rasen die Serpentinen am Sas de Dona hinab, ignorieren einen Wegweiser zum Rifugio Micheluzzi, der uns auf einen großen Bogen schicken würde, und folgen im strömenden Regen der Via Alpina ins Val di Dona, ein einsames, sehr grünes Seitental des Val di Fassa.
Als wir so richtig die Schnauze voll haben von strömenden Regen und unter dem überstehenden Dach einer Sennhütte eine Verschnaufpause einlegen, bemerke ich beim Blick in die Outdooractive-App, dass wir falsch gelaufen sind. Und zwar bestimmt einen Kilometer weit. Verdammt! Aber da ging doch nie im Leben ein Weg ab!
Suche nach dem rechten Weg
Also retour. Uns kommt das Paar entgegen, für das wir vorhin auf der Hütte unseren Tisch geräumt hatten. Ich behaupte, dass es uns hier so gut gefällt, dass wir das Tal zwei Mal durchlaufen wollen. Sie lachen und stimmen mir zu, dass nirgendwo ein Wegweiser Richtung Val Duron auszumachen war. Wir finden ihn dann aber doch – ungefähr zehn Meter ab des Weges in einer Wiese. Danke für nichts.
Jetzt durch eine nasse Wiese zu laufen, ist auch ganz fantastisch. Der Boden gleicht einem Hochmoor. Es geht nicht allzu steil einen Grasberg hinauf, dann öffnet sich auf dem Pas de Ciampai (2.215 m) der Blick ins Val Duron zu Füßen des gigantischen Langkofel-Massivs. Bei schönem Wetter wäre das hier ein absolut traumhaftes Panorama, aber an diesem Nachmittag haben die Götter keine Gnade mit uns. Es schüttet weiter wie aus Kübeln. So können wir auch kaum den Anblick der überall um uns herum blühenden Almrosen genießen. Wir wollen nur noch ankommen.
Nach einem allenfalls moderat abfallenden Höhenweg hat es das letzte Stück dann nochmal in sich. Fast schon halsbrecherisch ist der Abstieg durch ein Waldstück, in dem dicker Schlamm an unseren Sohlen festpappt und wir höllisch aufpassen müssen, nicht über die Wurzeln zu stolpern. Wir sind mehr als erleichtert, als wir um 16:15 Uhr die Fahrstraße und damit das Rifugio Micheluzzi (1.860 m) erreichen. Was für ein Ritt das war!
Endlich im Trockenen!
Im Keller des Rifugio pellen wir uns aus unseren klitschnassen Jacken und Stiefeln. Ob die bis morgen trocknen? Dirk geht schon aufs Zimmer. Ich will aber als allererstes ein Stück von dem Schokokuchen haben, der an der Theke in der Vitrine steht. Boah, lecker!
So rustikal die Hütte von außen wirkt, so modern sind die Zimmer. Klar haben wir hier frische Bettwäsche. Und einen Fernseher. Und ein großes Bad mit Dusche. Ich bin immer wieder froh, wenn ein solcher Tag nicht in irgendeinem Hüttenlager, sondern in einem komfortablen Hotelzimmer endet.
Auch kulinarisch haben wir mit dem Rifugio Micheluzzi ganz oben ins Regal gegriffen. Pasta und Vino und Tiramisu – perfekt. Schließlich endet sogar der Regen, zeigt sich ein Streifen blauen Himmels über den Bergspitzen, tauchen die letzten Sonnenstrahlen das Val Duron in ein fast unwirkliches Licht. Morgen wird ein guter Tag!
Unterkunft: Rifugio Micheluzzi, Val Duron
Wegstrecke: 12 km
Höhenmeter: +670 / -1.540
Nützliche Links
Dolomiti.org - die verschiedenen Regionen der Dolomiten im Überblick
Val Duron - das stille Tal zwischen Campitello und Seiser Alm
Südtirol Mobil - Fahrplansuche für Bus und Bahn