So, 30. Juni 24
Sessellift Paolina (2.125 m) – Santnerpasshütte (2.734 m)
Die erste Etappe führt uns durch das Reich von König Laurin, den Rosengarten, zur spektakulär gelegenen Santnerpasshütte. Auf den ersten 500 Höhenmetern hilft dabei der Sessellift.
Eine gemeinsame Vorliebe von Dirk und mir ist, mit einem gut gefüllten Kaffeebecher in den Tag zu starten. Heute müssen wir uns aber etwas gedulden, denn so früh am Morgen hat in Bozen noch nichts auf – auch kein Bäcker. Wir verschieben das Frühstück auf nach der Busfahrt. Mit der Linie 150 geht es um kurz nach acht von Bozen Richtung Carezza am Karersee. Und tatsächlich serviert gleich neben der Talstation des Paolina-Lifts (1.627 m) eine Hütte leckere Croissants und starken Kaffee. Wir genießen beides in der Sonne sitzend mit Blick auf Latemar und Rosengarten. Besser kann man nicht in den ersten Wandertag starten.
Am Adler vorbei
Der Sessellift setzt uns dann direkt vor der imposant aufragenden Rotwand ab. Der Wanderweg zur Rotwandhütte ist ideal zum Eingrooven, weil nur am Anfang kurz steil ansteigend. Ich bin ihn vor ein paar Jahren schon einmal mit Conny gegangen. Noch an derselben Stelle wie damals sitzt der drei Meter hohe Bronzeadler, der an Theodor Christomannos erinnert. Als Politiker trieb der um die vorletzte Jahrhundertwende die Erschließung der Region mittels Straßen und Hotels voran, wofür ihm die Südtiroler Bevölkerung 1912, und damit nur ein Jahr nach seinem Tode, mit diesem Denkmal dankte.
Gerade einmal 45 Minuten sind seit dem Start an der Paolina-Bergstation vergangen, als wir an der Rotwandhütte (2.283 m) vorbeikommen. Dahinter nimmt die Zahl der Sonntagsausflügler spürbar ab. Im steilen Anstieg zum Passo Jouf de la Zigolade (2.552 m) sind wir fast allein unterwegs. Leider bleibt die Sonne hinter uns über dem Eggental zurück. Richtung Val di Fassa wabert eine dunkle Wolkendecke über den Gipfeln.
Auf der Nordseite des Passes ist der Weg teilweise unter Schnee begraben. Wir wussten, dass uns auf der Tour an einigen Stellen winterliche Verhältnisse erwarten würden. Dass es hier schon damit losgeht, überrascht uns aber schon. Gar nicht so einfach ist der Abstieg über abwechselnd tiefen Schnee und rutschigen Schotter. Wegebauer waren hier natürlich noch nicht zur Ausbesserung. Wir geraten in eine Gruppe offenbar nicht sonderlich bergerfahrener Briten, die uns dann aber rasch passieren lassen.
Rast unter den Vajolettürmen
Bald können wir auf einem Plateau gegenüber das Rifugio Vajolet und die benachbarte Preuss-Hütte (2.243 m) ausmachen. Hier ist so etwas wie eine Hauptverkehrskreuzung zahlreicher Wander- und Kletterrouten durch das Rosengarten-Massiv. Um 13:15 Uhr sitzen wir auf der Terrasse der Preuss-Hütte und stärken uns mit einer Suppe für den Endspurt der Etappe.
Langsam geht uns auf, wie der weitere Weg verläuft. Ein breiter Pfad führt von der Vajolethütte geradeaus auf eine Passhöhe. Laut Karte müsste das der Anstieg zum Grasleitenpass sein. Den wollen wir aber erst morgen passieren. Also geht es für uns hart links in eine felsige Flanke. Dort ist nicht wirklich ein Weg auszumachen, aber wir beobachten Personen, die sich wie auf einer Ameisenstraße im Stop-and-Go talwärts bewegen. Anscheinend führt da ein Klettersteig durch. Das erklärt, warum die Outdooractive-App eine fast senkrechte Linie im Höhenprofil anzeigt. Irgendwo müssen die noch fehlenden 500 Höhenmeter ja herkommen.
Die Mittagspause hat gereicht, um den Großteil der Richtung Vajolethütte absteigenden Menschen passieren zu lassen. Fast alle, die uns noch entgegenkommen, haben Klettersteigsets dabei. Die benötigt man, wenn man sich aus der anderen Richtung, von der Kölner Hütte aus, dem Santner Pass nähern will. Für den Aufstieg zum Gartl hier braucht’s die nicht.
Klettersteig ins Gartl
Abgesehen davon, dass wir ab und an warten müssen, bis die nächste Kletterpassage frei ist, stellt uns der Weg vor keine größeren Herausforderungen. Die Seilversicherungen und eisernen Tritte sind intuitiv nutzbar. Den Gedanken, dass wir das Ganze ja morgen wieder absteigen müssen, legen wir ganz hinten ab.
Um 15:15 Uhr erreichen wir die Gartlhütte (2.621 m), die in einem Bergkessel – eben dem “Gartl” – zwischen bizarren Felsnadeln liegt. Auf dem Sattel oberhalb des Kessels können wir unser Ziel ausmachen, die Santnerpasshütte. Ein gemächlich ansteigender Weg durch die Flanke der König-Laurin-Wand führt hinauf. Keine halbe Stunde später stehen wir vor der futuristisch anmutenden Hütte, die komplett in Wolken eingehüllt ist. Nichts ist’s mit Aussicht.
Die neue Hütte gefällt nicht allen
Die Santnerpasshütte startet erst in ihrem zweiten Bergsommer, zumindest in ihrer jetzigen modernen Form. Eine Schutzhütte gab es an der Stelle schon seit 1956. Der Neubau war durchaus umstritten.
Unter anderem der Alpenverein hat ihn als nicht notwendig eingestuft, was einerseits nachvollziehbar ist, denn mit der Kölner und der Gartlhütte gibt es ja schon zwei Unterkünfte in unmittelbarer Nachbarschaft. Andererseits lädt allein die Lage wie auf einem Aussichtsbalkon schon dazu ein, den Spot zu erschließen. Als ich Fotos der neuen Hütte sah, war jedenfalls klar: Da müssen wir hin!
Bei einer superfreundlichen Hüttenwirtin, in deren Tragetuch ein Säugling friedlich schläft, checken wir ein. Wir haben ein Zweibettzimmer gebucht. Die Innenausstattung ist komplett aus hellem Holz, zweckmäßig und schnörkellos. Modern eben. Auch gibt es mehr als ausreichend Ablagemöglichkeiten im Zimmer. Bei manchen älteren Hütten ist man ja froh über jeden Haken in der Wand, hier können wir den Inhalt unserer Rucksäcke komplett in Regalen ausbreiten. Ach ja, frische Bettwäsche hat es auch. Wo es draußen ja eh nichts zu sehen gibt, nutzen wir die Zeit bis zum Abendessen für eine Siesta.
Der Rosengarten macht seinem Namen alle Ehre
Mit zwei jungen österreichischen Paaren teilen wir uns dann einen Tisch. Ich will nicht sagen, dass das rein vegetarische Vier-Gänge-Menü enttäuscht, aber ein bisschen mehr hätten wir doch erwartet. Vorspeise und Hauptgang sind sich arg ähnlich. Irgendwas aus Gries und Tomaten. Aber das Essen wird eh zur Nebensache, als sich die Wolken zu lichten beginnen. Zum Nachtisch kommt die Sonne hervor und taucht den Rosengarten in ein – im wahrsten Sinne des Wortes – sagenhaftes Licht.
Der Legende nach soll ja der Zwergenkönig Laurin den Rosengarten mit einem Fluch belegt haben: Weder bei Tag noch bei Nacht sollte ihn jemals ein Menschenauge erblicken. Die Dämmerung aber hatte der König vergessen, und so kommt es, dass der verzauberte Garten stets zum Sonnenuntergang rot erstrahlt.
Allzu lange dauert das Schauspiel heute Abend allerdings nicht. Die Sonne verschwindet vorzeitig hinter einer Wolkenwand. Es hat aber schon gereicht, alle Gäste der Santnerpasshütte zu verzaubern. Hier raufzukraxeln hat sich definitiv gelohnt.
Unterkunft: Santnerpasshütte
Wegstrecke: 10 km
Höhenmeter: +1.085 / -480
Nützliche Links
Dolomiti.org - die verschiedenen Regionen der Dolomiten im Überblick
Die Sage von König Laurin in kurz und lang
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