Sa, 18. Juli 2015
Der letzte Test vor der Alpenüberquerung findet an der Mosel statt. Klar, an dünne Höhenluft kann man sich da nicht gewöhnen, aber daran, einen zehn Kilo schweren Rucksack zu tragen. Wie anstrengend ist das wirklich? Wie bekomme ich den optimal auf die Hüfte gesetzt? Wo drückt's vielleicht noch? Diese Fragen gilt es, bei zwei Etappen auf dem Moselsteig zu klären. Conny begleitet mich.
Eineinhalb Stunden Fahrt sind es von Mainz bis Cochem. Tatsächlich sind wir noch nie an der Mosel gewesen. Es ist schon ein bisschen absurd, dass man so einen in der halben Welt als Inbegriff des romantischen Deutschlands bekannten Landstrich quasi vor der Haustür hat, es da auch noch guten Wein und allerlei Gelegenheiten zum Wandern gibt, und wir den ein Leben lang ignoriert haben. Aber irgendwie habe ich von der Mosel ein ziemlich spießiges Image im Kopf. Zeit, das mal einem Realitätscheck zu unterziehen.
Auf immer schmaleren Straßen fahren wir unter weitem Himmel durch den Hunsrück, bis wir nach kurvenreicher Abfahrt Beilstein erreichen. Genau von hier soll unsere heutige Wanderung auf dem Moselsteig starten, allerdings erst nachdem wir das Auto in Cochem abgestellt und mit dem Ausflugsboot wieder flussaufwärts gefahren sind.
Im Zentrum des Mosel-Tourismus
Ein paar Kilometer weiter in Cochem ist die Hölle los! Mehrere Reisebusse haben bereits ihre Ladung ausgespuckt, holländische Familien ziehen Eis schleckend die Promenade entlang und auch eine Etappe der Tour de France scheint hier zu enden, so viele Radfahrer sind in der Stadt. Wir halten uns nicht lange auf, erstehen für zwei Mal zwölf Euro zwei Fahrkarten nach Beilstein ("Tut mir leid, nur Bargeld.") und suchen uns einen Platz an Deck. Um die Mittagszeit heizt die Sonne schon ganz ordentlich ein.
Mit etwas Abstand zum Ufer ist Cochem ein unbestritten hübsches Städtchen. Die hoch über dem Fluss aufragende Reichsburg sieht aus wie aus Harry Potter. Von der schönen Aussicht abgesehen ist der Höhepunkt auf der einstündigen Fahrt bis Beilstein die Schleusung bei Bruttig-Fankel (lustige Namen haben die Orte hier auch!). Schlappe 28 Staustufen hat die Mosel auf ihren 394 schiffbaren von 544 Kilometern Länge. Dank der Mitte des letzten Jahrhunderts vorgenommenen Kanalisierung ist der Fluss eine der meistbefahrenen Wasserstraßen Europas, aber gemütlich genug zum Kanufahren und Schwimmen. Würden wir jetzt eigentlich auch lieber als wandern...
Wie wir verlassen die meisten Fahrgäste in Beilstein das Schiff. Ein Besucherschwall ergießt sich in den winzigen Ort, der sich selbst "Das Dornröschen der Mosel" nennt. Wohl weil er Jahrhunderte lang wie schlafend da lag, ehe er vom mit dem Tourismus einziehenden Wohlstand wachgeküsst wurde. Dass wir heute ein herausgeputztes, ansonsten aber seit dem Mittelalter kaum verändertes Stadtbild bewundern dürfen, ist der Armut früherer Zeiten zu verdanken.
Der Moselsteig erfordert Trittsicherheit
Am Ortsausgangsschild finden wir den Einstieg in den Wanderweg, der sofort steil in die Weinberge führt. Da kann man gleich nachvollziehen, welche Mühen der Weinbau an der Mosel so mit sich bringt. Ein nicht zu übersehendes Schild bittet um festes Schuhwerk, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit auf der Fortsetzung des Weges. Da staunen wir nicht schlecht, als vor uns zwei Holländer mit Fahrrädern den bestenfalls fußbreiten Pfad versperren. Ohne Worte.
Das Klima im Hang gleicht jetzt dem Inneren eines Backofens. Was für den Wein super ist, ist für den Wanderer schweißtreibend. Gleich am ersten schattigen Aussichtspunkt legen wir eine Pause ein und schauen den Holländern dabei zu, wie sie ihre Räder das letzte Stück des Weges durch den Steilhang wuchten.
Nach den Weinlagen kommen wir durch Bruttig, durch dessen Ortsmitte ein kurioser weil nie in Betrieb genommener Bahndamm verläuft. Dann beginnt der unglaublich steile Anstieg durch das Kabainer Bachtal, der auch über einige hölzerne Stege führt. Hoch über dem Tal kommen wir am Aussichtspunkt "Eiserner Mast" raus. Hier könnten wir jetzt locker ein paar Stunden ausruhen, entschließen uns nach kurzem Zögern aber doch für's Weitergehen.
Der Moselsteig verläuft dann recht abwechslungsreich durch Wald und Wiesen und immer mal wieder an der Hangkante entlang, um und durch das Örtchen Valwigerberg allerdings auch ganz schnöde auf Asphalt. Das hat man auf dem Rheinsteig eher selten.
Fast-Absturz in der Brauselay
Der folgende Abschnitt auf dem Apolloweg - benannt nach dem hier wohl öfter anzutreffenden Falter - hat es dann noch einmal in sich. Auf engem Pfad und über steile Weinbergstreppen wandern wir unter der fast senkrecht abfallenden Felswand der Brauselay hindurch, so etwas wie die Loreley der Mosel - nur dass hier nicht die Statue eines langhaarigen Mädchens die Schiffer grüßt, sondern eine Madonnenfigur mit Jesuskind im Arm. Womöglich auch so ein Grund, warum es mir am Rhein besser gefällt als an der Mosel.
Quasi unter den Augen der Madonna passiert es: Mein linker Fuß verliert im bröseligen Hang den Halt und es legt mich der Länge nach in den Staub. Außer ein paar Schrammen an den Knien ist zum Glück nichts weiter passiert, der große Rucksack sitzt bombensicher auf dem Rücken. Ich wasche Arme und Beine mit dem Ballastwasser aus der mitgeführten Trinkflasche, desinfiziere die leicht blutenden Striemen und klebe ein Pflaster drüber. Conny, die ein ganzes Stück vorausgegangen ist, kommt dann auch mal nachschauen, wo ich bleibe. Sehr fürsorglich.
Schließlich kommt die Reichsburg wieder in Sicht und kurz darauf zweigt der Moselpfad Richtung Ortsmitte ab. Teil eins des Wanderwochenendes hätten wir überstanden, immerhin knapp vierzehn Kilometer. Wir holen unser in der Nähe des Bahnhofs geparktes Auto ab und fahren wieder ans rechte Moselufer, wo wir ein Zimmer im Hotel Zehnthof gebucht haben. Der Empfang in dem kleinen familiengeführten Hotel ist außergewöhnlich freundlich. Seltsamerweise werden wir in einem benachbarten Gästehaus untergebracht, das wir aber anscheinend für uns haben, was eine ruhige Nacht verspricht. Und eigentlich interessieren wir uns auch nur für eine Dusche. Die gibt es in dem kleinen Badezimmer - alles gut.
Das beste "Restaurant" der Stadt
Zum Abendessen gehen wir zum Italiener. Das Ristorante Castello befindet sich in einem Gewölbe am Rande der Altstadt, verfügt aber glücklicherweise auch über eine Terrasse, auf der noch ein Tisch für uns frei ist. In dem Keller wäre es uns zu stickig gewesen. Wein, Pizza und gegrillter Tintenfisch munden prima. Den Nachtisch holen wir uns aber im Eiscafé Bortolot unten in der Nähe der Schiffsanleger.
Den Laden listet Tripadvisor als das beste Restaurant der Stadt - was einiges über das kulinarische Niveau von Cochem aussagt. Das Eis ist aber auch wirklich grandios! Vor allem Zitrone-Basilikum und Weinbergpfirsich-Prosecco bekommt man garantiert in keiner Großstadt-Hipster-Eisdiele besser. Zufrieden löffeln wir unser Eis und schauen den Schwalben bei ihrem Flug über den Fluss zu. Schließlich genehmigen wir uns auf der Terrasse eines Hotels noch einen Schlummertrunk, dann geht's ins Bett. Morgen wandern wir weiter.