Mi, 2. Oktober 2024
Gut 50 Kilometer südwestlich von Chicago liegt Joliet, die drittgrößte Stadt Illinois. Ich gebe zu, dass ich absolut nichts über Joliet wusste, bis Conny damit um die Ecke kam, dass man dort einen berühmten “Lost Place” besuchen könnte, nämlich ein altes Gefängnis. Grund genug für uns, einen Mietwagen zu nehmen und raus aufs Land zu fahren.
Eigentlich war mal der Plan, den Schlenker über Joliet auf dem Weg nach Indianapolis einzulegen. Das war, bevor FTI Insolvenz anmeldete, sich deshalb unsere Mietwagenbuchung in Luft auflöste (das Geld bekam ich über die Kreditkarte zurück) und es unverhältnismäßig teuer geworden wäre, mit dem Auto nach Pittsburgh weiterzureisen. Aber an der Idee, mal für einen Tag aus der Stadt rauszufahren, hatte ich festgehalten und mit dem Pullman National Historical Park gleich noch eine Sehenswürdigkeit entlang der Route in die Reiseplanung aufgenommen.
Raus aus der Stadt
Für unter 60 Euro gab es einen Mietwagen bei Hertz, die mehrere Stationen in Downtown Chicago haben. Die Übernahme geht fix über die Bühne, allerdings werde ich davon überrascht, dass eine Rückgabe nach 18 Uhr nicht möglich ist. Entweder wir schaffen es innerhalb der Öffnungszeit oder wir müssen das Auto über Nacht in ein Parkhaus stellen und es morgen früh zurückgeben.
Zuerst einmal lassen wir uns von Google Maps zum nächsten Whole Foods leiten zwecks Frühstück. Dort kriegen wir zwar die gewünschten Croissants, aber leider keinen Kaffee. Müssen wir also nochmal bei Starbucks halten.
Um kurz nach zehn rollen wir in Pullman auf den Parkplatz des Besucherzentrums, das im 1880 erbauten Clock Tower Building untergebracht ist, der ehemaligen Unternehmenszentrale der Pullman Company. Was hat es mit Pullman auf sich, das es zu einem Erinnerungsort von nationaler Bedeutung wurde? Nun, da kommt einiges zusammen…
Eine Stadt für eine Fabrik
Pullman erzählt die Geschichte der ersten von einem Industriellen für seine Arbeiter und Angestellten geplanten Siedlung in Amerika, die des Schlafwagen-Pioniers George Mortimer Pullmans. Pullman spielte aber nicht nur eine bedeutende Rolle in der Historie der Stadtplanung, sondern auch der Arbeiterbewegung. Der Pullman Strike von 1894 ging als blutiges Kapitel in die Geschichtsbücher ein.
Von den Fabrikgebäuden, in denen noch bis 1955 Eisenbahnwaggons gebaut wurden, ist freilich nicht mehr viel übrig. Neben dem imposanten Hauptgebäude ließ sich aber immerhin noch eine alte Halle herrichten, um darin die interessante Ausstellung zur Geschichte Pullmans unterzubringen. Und einige der alten Straßenzüge sind auch noch erhalten. Dort schauen wir uns nach dem Museumsbesuch ein bisschen um.
Übrigens war es Präsident Obama, der 2015 Pullman als National Monument unter die Verwaltung des National Park Service stellte. Seit 2022 ist Pullman ein National Historical Park. Der Eintritt ist kostenlos.
Weiter nach Joliet. Das Old Joliet Prison ist gleich am Ortseingang. Allerdings lassen wir uns von einem Schild irritieren, auf dem “No Event Parking” steht, und fahren erstmal daran vorbei. Man kann aber natürlich direkt vor den Gefängnismauern parken, das “Event” ist eine Halloween-Veranstaltung im ehemaligen Frauenknast auf der anderen Straßenseite. Ja, mit Gefängnissen hat man es in Joliet.
In Joliet wurde Filmgeschichte geschrieben
An der Kasse empfängt uns ein zum Plaudern aufgelegter Herr. Als er hört, dass wir aus Deutschland sind, erzählt er, dass viele Deutsche wegen der Serie “Prison Break” vorbeikommen würden und rattert runter, welche Einstellungen wo genau entstanden. Wir nicken nur höflich, die Serie haben wir nie gesehen.
Auch nicht den Film “Blues Brothers”, für den 1980 ebenfalls einige Szenen hier gedreht wurden. Zugegeben: Das ist eine ziemlich große Lücke im popkulturellen Bildungskanon. Aber wie viele Leute, die den Film gesehen haben, waren wohl schon in Joliet? Das können wir nun immerhin von uns behaupten.
Mit einer Karte bewaffnet spazieren wir über das Gelände. 1858 begannen 35 Häftlinge, mit Material aus einem benachbarten Steinbruch ihr eigenes Gefängnis zu bauen. Die ersten damals errichteten Gebäude stehen noch heute. 20 Jahre später saßen hier an die 2.000 Mann ein, machten Berichte von katastrophalen hygienischen Zuständen die Runde.
Der Knast war ständig überfüllt
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Schließung von Joliet gefordert, stattdessen kamen aber ständig neue Gebäude hinzu. Ein Großteil der Hinrichtungen in Illinois fand in Joliet statt, meist mit dem elektrischen Stuhl. Erst 2002 wurden die letzten Gefangenen in ein neues Hochsicherheitsgefängnis im nahen Stateville verlegt.
Seit einigen Jahren kümmert sich ein Bündnis aus städtischen Einrichtungen und Freiwilligen um den Erhalt des Old Joliet Prison. Gute Idee, eine Touristenattraktion daraus zu machen. Lohnt es sich, dafür extra aus Chicago anzureisen? Wir sind nicht so ganz überzeugt. Dafür ist dann doch zu viel schon verfallen und nicht zugänglich und wenn man einmal in Alcatraz war, weiß man eh, wie alte Gefängnisse von innen aussehen. Nach eineinhalb Stunden sind wir durch mit dem Rundgang.
Es gibt in Joliet noch mehr Lost Places zu erkunden. Entlang des Des Plaines River, respektive am parallel verlaufenden Illinois & Michigan Canal, führen Spazierwege durch das Gelände eines ehemaligen Eisenhüttenwerks. Von dem sind nur noch überwucherte Ruinen übrig. Informationstafeln erinnern an die Vergangenheit Joliets als Standort der Eisen- und Stahlindustrie. Wir vertreten uns hier noch ein wenig die Beine, bis wir genügend Hunger für ein spätes Mittagessen bekommen haben.
Time for Steaks
Mein Plan war eh, den Ausflug für den Besuch eines Outback-Restaurants zu nutzen. Der gehört für uns einfach zu jeder USA-Reise dazu und in Chicago selbst gibt es keine Filiale. Also halten wir auf dem Rückweg in einem Ort namens Orland Park auf zwei Steaks. Wobei wir zugeben müssen, dass uns das Essen hier nicht mehr ganz so begeistert wie früher. Vielleicht haben wir mittlerweile zu viele RICHTIG gute Steaks gegessen.
Nach dem Essen ist es 16:15 Uhr, die Mietwagenstation laut Google Maps nur eine knappe Stunde Fahrt entfernt – es sollte also locker passen mit der Rückgabe. Schließlich fahren wir auch nachmittags wieder entgegen der Richtung des Berufsverkehrs, der sich bald mehrspurig auf den gegenüberliegenden Fahrbahnen staut. Wir füllen noch den Tank auf und stellen dann um 17:30 Uhr das Auto bei Hertz ins Parkhaus. Das hat alles super geklappt.
When the Night Has Come...
Spontan beschließen wir, den Sonnenuntergang von der Spitze des Hancock Centers aus anzuschauen. “360 Chicago” nennt sich das Observation Deck im 94. Stockwerk, die Fahrt rauf kostet um die 40 Dollar.
Der Blick in die Häuserschluchten, über den Lake Michigan und die sich gen Horizont im Dunst auflösenden Vororte ist das Geld allemal wert. Das weiche Orange, in das die untergehende Sonne die Stadt taucht, und wie die mit hereinbrechender Dunkelheit immer mehr zum funkelnden Lichtermeer wird, ist einfach nur wunderschön. Wir verbringen hier oben tatsächlich genauso viel Zeit wie nachmittags im Joliet Prison. Es ist der perfekte Abschluss für diesen Tag.
Unterkunft: Millennium Hotel Knickerbocker Chicago - 152 EUR via Airbnb
Gefahrene Meilen: 108
Nützliche Links:
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