Di, 1. Oktober 2024
Wir wollen uns noch ein wenig in die Architektur der Stadt und ihrer Wolkenkratzer vertiefen und haben gleich zwei Touren mit dem Chicago Architecture Center gebucht. Damit hat sich die Jahresmitgliedschaft denn auch schon bezahlt gemacht. Der Tag verläuft dann aber doch nicht ganz so wie geplant.
Nach einem schnellen Frühstück bei Stan’s Donuts stehen wir um 10 Uhr wieder am Empfang des CAC. Die Führerin gestern hatte uns empfohlen, die Tour zu den “Historic Treasures of Chicago’s Golden Age” mitzumachen. Bei der würden wir auch einige der zwischen der Weltausstellung von 1893 und dem Zweiten Weltkrieg errichteten Gebäude von innen zu sehen bekommen, etwa das Chicago Cultural Center mit seiner Kuppel aus Tiffanyglas. Leider erfahren wir nun, dass genau diese Tour heute Morgen abgesagt wurde.
Plan B: Magnificent Mile
Wir schließen uns stattdessen der Führung “Architecture of the Magnificent Mile” an. Die stand nicht unbedingt ganz oben auf meiner Liste, denn jene Magnificent Mile, die North Michigan Avenue, laufen wir eh schon seit zwei Tagen auf und ab.
Kann aber auch nicht schaden, ein bisschen mehr über Chicagos Antwort auf die Champs Élysées zu erfahren. Mit dem Wrigley Building, dem Tribune Tower und dem ehemaligen Hancock Center stehen immerhin einige der bekanntesten Gebäude der Stadt am Straßenrand Spalier.
Die North Michigan Avenue wurde von Anfang an als Prachtboulevard geplant, als repräsentative Adresse für Büros, Hotels und vor allem Kaufhäuser und Luxusboutiquen. In Sachen Prestige kommt die “prächtige Meile” gleich nach der Fifth Avenue in New York und dem Rodeo Drive in Beverly Hills.
Allerdings hat die Krise des Einzelhandels und vor allem die Pandemie ihre Spuren hinterlassen, wird in vielen Schaufenstern mit Hochglanzfotos nach neuen Mietern gesucht. Die Straße wirkt deshalb aber nicht ausgestorben oder gar heruntergekommen. Schon allein die Bepflanzung ist sehenswert und wird aufwändig gepflegt und bewässert. Conny schaut etwas neidisch beim Gedanken an ihre Zimmerpflanzen daheim.
Die Tribune hat Steine aus aller Welt verbaut
Ein witziges Detail fällt uns am Tribune Tower auf, in dem anstelle der Zeitungsredaktion mittlerweile luxuriöse Apartments untergebracht sind. Im Sockel wurden steinerne Souvenirs aller möglichen Korrespondenten der Zeitung eingemauert, etwa ein Stück des Kölner Doms oder von Westminster Abbey. 1925 wurde der 141 Meter hohe Turm im neogotischen Stil hochgezogen. Nicht nur das Eingangsportal erinnert an eine europäische Kathedrale.
Ebenfalls auf der North Michigan Avenue befindet sich ein großer Fan-Shop der Chicago Cubs, dem beliebtesten Baseball-Team der Stadt. Um von denen ein Spiel mitzunehmen, hätten wir einen Tag früher anreisen müssen. Am Sonntag war das letzte Heimspiel der Saison. Ich bin kein großer Baseball-Fan, aber eine Mütze mit dem niedlichen Bären-Logo geht mit.
L wie Elevated
Um 13:30 Uhr steht dann schon die nächste Tour auf dem Programm. Die wird sich ÜBER den Straßen von Downtown abspielen, nämlich in den Zügen und Stationen der “L”. Das “L” steht für “elevated”, also “hochgestellt”. Die meisten Züge fahren in Chicago nämlich nicht unterirdisch, sondern als Hochbahn durch die Stadt.
165 Kilometer lang ist das Streckennetz, das auf stählernen Viadukten die Innenstadt als rechteckiger Ring umschließt. Deshalb spricht man auch von "Loop", wenn man den zentralen Geschäftsbezirk Chicagos meint. Ende des 19. Jahrhunderts waren dessen Straßenkreuzungen hoffnungslos verstopft. Mit dem Hochbahnring wurde das Problem gelöst. Pendler konnten die Innenstadt nun bequem aus den sich rasch ausbreitenden Vororten erreichen und pünktlich zur Arbeit in den aus dem Boden schießenden Büro- und Kaufhäusern erscheinen.
1892 war Chicago nach New York die zweite amerikanische Stadt mit einem modernen Metronetz und auch heute noch ist die L nach der New York Subway das am zweithäufigsten genutzte öffentliche Transportsystem der USA. Etwa 400.000 Menschen fahren tagtäglich mit ihr durch Chicago. Zum Vergleich: Die Frankfurter U-Bahn hat in etwa genauso viele Fahrgäste, das Netz ist aber nur ein Drittel so lang wie das der L. Amerika ist halt einfach kein ÖPNV Country.
Wie sich konkurrierende Unternehmer und Politiker einen Wettlauf um die Errichtung des Streckennetzes lieferten, erfahren wir auf der Tour, die an der modernen Station Washington/Wabash beginnt. Sie wurde erst 2017 in Betrieb genommen und ersetzte zwei ältere Bahnhöfe über der geschäftigen South Wabash Avenue. Weiter geht es zur Harold Washington Library, die nur aussieht, als wäre sie in der Hochzeit des Neoklassizismus errichtet worden. Tatsächlich eröffnete die Zentralbibliothek erst 1991.
Die nächste Station versprüht nostalgischen Charme. Quincy ist einer der wenigen praktisch im Original erhaltenen Stopps der L und schaut weitgehend genauso aus wie bei seiner Eröffnung 1897.
Mit der Pink Line scheren wir kurz aus der Loop aus, um einen Blick über den Chicago River zu werfen. Die Haltestelle Clinton befindet sich dann direkt über den Gleisen der Chicago & North Western Station, von wo die Regionalzüge nach – man ahnt es schon – Norden und Westen Chicago verlassen. Der Bahnhof heißt mittlerweile offiziell Ogilvie Transportation Center, benannt nach einem ehemaligen Gouverneur von Illinois, und wird von einem postmodernen, blau schimmernden Glaskasten überragt. Hier haben wir auch einen tollen Blick auf den Willis Tower.
Schließlich geht es zurück nach Wabash/Washington. Es war unmöglich, sich alles zu merken, was unsere Führerin über die Geschichte der L und der Gebäude entlang der Strecke erzählt hat, aber sehr unterhaltsam war die Tour allemal. Auch der erhöhte Blick auf Straßen und Häuser war spannend. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings der Lärm der über die uralten Gleise ratternden Züge. Dann doch lieber über einer U-Bahn wohnen.
Stadt unter der Stadt
Von der Elevated begeben wir uns als nächstes in den Untergrund. Entlang des Chicago River ist die Stadt nämlich mehrstöckig gebaut. Es gibt hier unterirdisch ein richtiges Straßennetz, das vor allem vom Lieferverkehr und der Müllabfuhr genutzt wird. Deshalb wirkt die Innenstadt auch in weiten Teilen verhältnismäßig ruhig und fußgängerfreundlich.
Wir suchen Graffiti, aber speziell ich habe dann ziemlich schnell genug von dem Dreck und Gestank, dem man hier unweigerlich ausgesetzt ist, ganz abgesehen von den Obdachlosen, die in den Ecken hausen.
BBQ for Dinner
Für ein frühes Abendessen habe ich eine Sports Bar unweit des Hotels gefunden. Bei Jake Melnick’s Corner Tap gibt es typisch amerikanische BBQ-Gerichte – Burger, Wings, Ribs, Brisket – sowie eine riesige Bierauswahl. Nice one!
Moderne Kunst zum Nachtisch
Nach dem Essen bleibt noch Zeit für einen Museumsbesuch. Das Museum of Contemporary Art hat dienstags bis 21 Uhr geöffnet und ist um die Ecke vom Hotel. Perfekt! Zumindest für mich. Conny hat für zeitgenössische Kunst nicht so viel übrig und geht schon mal heim. Viel länger als eine Stunde verbringe ich dann aber auch nicht im MCA. Einer der größeren Räume des Museums wird gerade für eine neue Ausstellung vorbereitet, entsprechend gibt es weniger zu sehen als üblich. Dafür ist der Eintritt günstiger. Been there, done that.
Unterkunft: Millennium Hotel Knickerbocker Chicago - 152 EUR via Airbnb
Nützliche Links:
Choose Chicago - Things to Do, Events, Restaurants, Hotels, Reiseplanung
Enjoy Illinois - Website des Illinois Office of Tourism
Time Out Chicago - die angesagtesten Restaurants, Bars und Events
2 Perfect Days in Chicago - für alle, die nicht so viel Zeit haben
3 Tage in Chicago: die Highlights - wenn's ein Tag mehr sein soll
Chicago Architecture Center - die interessantesten Touren
The Chicago Public Art Guide - 90-seitiger Führer zu öffentlichen Kunstwerken
Chicago History - ein kurzer Abriss auf der Website der City of Chicago
TripAdvisor Forum - hier bekommt man alle Fragen beantwortet