2022 New England Day 10
Jordan Pond, Acadia National Park

Mi, 12. Oktober 2022

HOCH ÜBER DEM SEE

Mitten im Acadia National Park, umgeben von Hügeln aus Granit, liegt der Jordan Pond, einer der hübschesten Flecken auf Mount Desert Island. Auf dem Zettel hätte ich hier mehrere Wanderungen, aber schon eine wird zur echten Herausforderung.  


Die Nacht war ruhig, trotzdem wache ich mit einem flauen Gefühl auf. Irgendwie ist mir übel. Wäre nicht das erste Mal, dass ich mir einen Magen-Darm-Virus eingefangen hätte - wobei mir das nur auf Reisen, nie daheim passiert. Aber im Magen ist eigentlich alles ruhig. Seltsam. Vielleicht wird's ja an der frischen Luft besser, dort wollen wir den ganzen Tag verbringen. 

 

Draußen herrscht dichter Nebel. Wenn's noch schneit, haben wir bald jedes Wetter durch auf dieser Reise. Auch Bar Harbor ist wie in Watte gepackt. Dort halten wir an der Mount Dessert Bakery und versorgen uns mit frischen Backwaren als Wanderproviant, nehmen noch einen Kaffee mit und fahren weiter in den Nationalpark. Direkt am Ortsausgang lichtet sich der Nebel, nichts als blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. So haben wir uns das vorgestellt.


Ein Haus am See


Es ist noch keine neun Uhr, aber am Jordan Pond sind die Parkplätze bereits gut gefüllt. Der bis zu 45 Meter tiefe See, Hinterlassenschaft der letzten Eiszeit, ist eines der beliebtesten Ziele im Park. Nicht nur starten von seinen Ufern mehrere Wanderwege (einer davon führt rund um den See, den sind wir 2008 schon gelaufen), an seinem südlichen Ende befindet sich auch das einzige Restaurant im Nationalpark, das Jordan Pond House. Das gibt es schon seit den 1870ern, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum Treffpunkt der in der Gegend ihre Sommerferien verbringenden High Society, von John D. Rockefeller gekauft und schließlich dem National Park Service geschenkt. Leider brannte das Original 1979 ab, der Neubau ist ein recht zweckmäßiger und daher eher scheußlicher 80er-Jahre-Bau. 


Mount Desert Bakery, Bar Harbor

Kaum sind wir am See angekommen, verschwinde ich zwischen den Bäumen und übergebe meinen Kaffee dem Wald. Die frische Luft hat noch nicht zur Besserung meines Befindens beigetragen. Conny empfiehlt die Einnahme einer Vomex und wir bleiben erstmal ein bisschen auf der Terrasse des Restaurants sitzen. Unterhaltung bieten dabei drei bemerkenswert ungeschickte Aushilfen, deren Job zu sein scheint, die Tische und Bänke auf dem Rasen in Reih und Glied zu bringen und trockenzuwischen. Sie machen das aber so umständlich, dass zu bezweifeln ist, ob sie bis zur Öffnung des Restaurants damit fertig werden.

 

Schließlich fühle ich mich ausreichend bei Kräften für den Start ins Wanderprogramm. Das zu canceln ist bei dem Traumwetter nun wirklich keine Option! Wo eine Brücke über den aus dem See abfließenden Jordan Stream geht, beginnt der Anstieg über 300 sehr steile Höhenmeter auf den Penobscot Mountain. Der strengt mich wahnsinnig an. Als wir an einem Felsvorsprung vorbeikommen, legen wir eine Pause ein. Es tut gut, in der Sonne zu sitzen, über den See zu schauen und den Vögeln zuzuhören. Es gibt hier eine Meisenart, die Black-capped Chickadee, die so niedlich tschilpen. Langsam dämmere ich weg ...


In Zeitlupe Richtung Gipfel


Es vergeht mindestens eine halbe Stunde, ehe ich mich wieder aufraffen kann. Conny ist den Weg schon ein Stückchen weiter gelaufen, kommt mir nun entgegen. Ab jetzt darf sie den Rucksack tragen. Es gibt noch ein bisschen Kletterei am Fels, dann ist das Ärgste geschafft und wir wandern auf einem sanft ansteigenden Plateau weiter. Absolut sagenhaft ist die Aussicht über die Granithügel in die eine, das Meer in die andere Richtung. Zwischen Buchten und Inselchen hängen immer noch einzelne Nebelschwaden. 


Kraxelei
The view, though...
Steinmännchen
Zwischen Blaubeerbüschen
Mini-Bubble Rock
Gipfelplateau
Blick nach Osten
Am Ziel
Gipfelselfie
Blick Richtung Bar Harbor
Wegweiser statt Gipfelkreuz

Zur Mittagszeit kommen wir am "Gipfel" an, einer flachen Kuppe mit einem Steinhaufen, in dem ein Wegweiser steckt. Auch die Höhe ist vermerkt: 1.194 Fuß. Das entspricht knapp 364 Metern, nicht 163 wie hier angeschrieben. Gerade 2,7 Kilometer sind es bis zum Ausgangspunkt der Wanderung. Noch nie habe ich für eine solche Strecke so lang gebraucht. Immerhin: Ich kann endlich was zu essen vertragen, also hole ich jetzt das Frühstück nach. Conny meint, es wäre eine gute Idee, noch eine Vomex zu schlucken. Ich bin da völlig arglos, ahne nicht, dass die mich im Laufe des Nachmittags völlig vernebeln wird.  


Durch die Wand


Wäre ich fit, wären wir womöglich noch auf den benachbarten Sargent Mountain gestiegen oder hätten einen Schlenker über die South Bubble gegenüber genommen. Auf der gibt es auch den Bubble Rock zu bestaunen, einen großen Felsbrocken an der Kante des Berges, der vermeintlich kurz davor ist hinterzurollen. In Wirklichkeit liegt er schon seit Jahrtausenden an der Stelle, an den ihn ein sich zurückziehender Gletscher am Ende der letzten Eiszeit abgesetzt hat. Aber ein Highlight nehmen wir noch mit: den Jordan Cliffs Trail, der sich auf halber Höhe durch die Flanke des Penobscot zieht. Der Weg ist teilweise sehr ausgesetzt, hat einige Kletterstellen und eine irre schöne Aussicht über den Jordan Pond und den leuchtend bunten Wald an dessen Ufern. 


So toll dieser Trail ist, wird mir langsam klar, dass ich eigentlich gar nicht hier sein sollte. Ich fühle mich erschöpft und muss mich total zusammenreißen, überhaupt noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wir schaffen es aber unfallfrei zur Einmündung in den Spring Trail, der uns schon von heute Morgen bekannt ist und zurück zum Jordan Pond House führt. Gegen 14:30 Uhr kommen wir dort an und stellen fest, dass das Personal es doch noch geschafft hat, die Gartenmöbel ordentlich hinzustellen.  


Die Frage, wohin wir zum Abendessen ausgehen, stellt sich heute nicht. Als wir in Bar Harbor noch an einem Supermarkt halten, fühle ich mich schon halb in Trance. Ich will nur noch ins Bett!


Unterkunft: Acadia Pines Motel, Bar Harbor - 240 USD


Nützliche Links:

Visit New England - alles auf einen Blick

Visite Maine - Trip tips

Joe's Guide to Acadia National Park - alle Wanderungen des Parks auf einer Website

Visit Bar Harbor - Stay, See & Do

New England Foliage - Wie weit ist die Laubfärbung?

TripAdvisor Maine Travel Forum - beantwortet alle Fragen