Di, 28. Juni 22
Rifugio Lancia (1.825 m) - Rifugio Campogrosso (1.457 m)
Die heutige Etappe gilt als eine der interessantesten auf dem E5, denn es geht über den Pasubio. Der erzählt mit seinen Stollen, Gräben und Trümmerhaufen anschaulich von der ganzen Grausamkeit des Gebirgskrieges. Unfassbare 38.000 Soldaten sollen allein an diesem Berg ihr Leben gelassen haben. Der E5 folgt dem Friedensweg über das Massiv.
Gar nicht so übel war die Nacht im Lager - dank Ohrstöpsel und einem Bett neben dem Fenster. Beim Frühstücksangebot bleibt das Rifugio Lancia allerdings weit hinter den bisherigen Stationen zurück, das fällt ziemlich spartanisch aus. Aber mir reichen ein Joghurt und etwas Müsli allemal. Schließlich steht mittags eine Einkehr auf dem Plan.
Punkt 8 Uhr brechen wir auf. Es ist ein klarer Morgen, die Nacht hat Tau auf den Wiesen gelassen. Aber so sonnig wird es nicht bleiben, die einschlägigen Apps haben einen Wetterumschwung in der Vorhersage. Der ein oder andere Schauer dürfte uns auf der langen Wanderung erwischen. Womöglich lässt es sich aber auch unterwegs mit einem Bus zum Passo di Campogrosso abkürzen, mal schauen. Erstmal genießen wir einen gemächlichen Aufstieg vom Rand der Alpe Pozze und bald die Aussicht auf die Piccole Dolomiti, die "Kleinen Dolomiten". Über die müssen wir noch drüber, die letzte alpine Barriere auf dem Weg nach Verona. Weiter im Westen zeichnen sich die Gipfel der Brenta ab.
Wie ein Tafelberg taucht dann der Pasubio am Horizont auf. Ein schöner Höhenweg führt vorbei an blühendem Ginster direkt auf ihn zu. Am Sattel Sella del Roite sind wir erstmals in dieser Woche auf über 2.000 Metern. Ein steifer Wind weht hier oben, auch ein paar Regentropfen kommen angeflogen. Endlich können wir mal unsere Jacken rausholen! Auch typische Hochgebirgsbewohner bekommen wir zu Gesicht: Eine Herde Gämsen quert einen Geröllhang.
Der große Knall
Der Pasubio hat zwei markante Gipfelplateaus, die als Dento Italiano (italienische Platte) und Dento Austriaco (österreichische Platte) in die Geschichte eingingen. Die erbitterten Schlachten, die sich die Truppen hier oben zwischen Juni 1916 und November 1918 lieferten, haben den Berg für immer entstellt. Unzählige in den Fels gesprengte Stollen, Kavernen und Steige zeugen vom Einfallsreichtum, den Menschen immer entwickeln, wenn es darum geht, andere zu töten. „Schlachtbank“, „Menschenmühle“ oder „Berg der 10.000 Toten“ - der Pasubio hat so einige gruselige Beinamen.
1917 begannen beide Armeen damit, Stollen unter den Sattel im Niemandsland zwischen den beiden Gipfeln, den von den Österreichern so genannten „Eselsrücken“, zu treiben. Am 13. März 1918 ging unter der italienischen Platte die mit 50 Tonnen Sprengstoff größte Mine des ganzen Weltkriegs hoch. Niemand weiß genau, wie viele Menschen allein dabei ihr Leben ließen. Einige Quellen sprechen von über 40, andere von 800 Opfern. Möglich, dass in Anbetracht der eingesetzten Sprengstoffmenge relativ wenige Soldaten umkamen, weil die Italiener in Vorbereitung einer eigenen Minensprengung ihr Stollensystem bereits zu einem Großteil geräumt hatten.
Der nördliche Teil des Dento Italiano fiel durch die Explosion in sich zusammen. Der Wanderweg geht über die Trümmerhalde. Es erscheint mir doch einigermaßen pietätlos, wie einige hier ihre Notdurft hinter Felsbrocken verrichten. Der Berg ist immerhin eine Gedenkstätte. Ihr pinkelt da auf Gräber, Leute!
Von Erfolg gekrönt war die Taktik mit den Sprengungen übrigens nicht. Die Italiener hielten die Front, die Kämpfe brachten bis zum Ende des Krieges keiner Seite einen Gewinn. Was für ein Wahnsinn!
Mittagessen am ehemaligen Kommandeursgebäude
Den Hauptgipfel, den Cima Palon (2.232 m) lassen wir rechts liegen, umrunden das Labyrinth aus alten Gräben unterhalb des Bergrückens und biegen an der Kapelle Santa Maria nach rechts ab. An weiteren Gedenkstätten vorbei kommen wir zu einer Wegkreuzung an einem Hubschrauberlandeplatz, die Porte del Pasubio (1.925 m). Gleich um die Ecke: das Rifugio Papa, dessen Kern die ehemalige italienische Kommandozentrale bildet. Kaum zu glauben, aber das Gebäude war mal Mittelpunkt einer richtigen Stadt, einer Barackensiedlung, die sich, geschützt vor feindlichem Beschuss, den Hang hinaufzog. Die Tafeln mit den alten Aufnahmen lassen uns staunen.
Zur Schutzhütte wurde das Haus schon Anfang der 1920er umgebaut und bis heute immer wieder erweitert. 1937 bekam es den Namen eines ehemaligen Hausherrn verliehen: Generale Achille Papa war Kommandant der Infanteriebrigade Liguria, die von 1916 bis 1917 auf dem Pasubio eingesetzt war und deren Veteranen zu den größten Unterstützern des Ausbaus zählten. Um die Mittagszeit ist die Terrase des Rifugios gut gefüllt, wir finden aber noch Platz an zwei Tischen.
Um halb eins sind wir schon wieder abmarschbereit. Vom Rifugio Papa geht die "Strada degli Erol" (Straße der Helden) hinunter zum Fugazze-Pass. Die führt durch zahlreiche Tunnel und ist sehr komfortabel zu gehen. In der heutigen Form wurde die Militärstraße erst in den 1930ern ausgebaut. Die Helden, derer sie gedenkt, sind zwölf am Pasubio mit der Goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnete Soldaten. Bis in die 1990er Jahre war die Straße sogar für den Autoverkehr freigegeben. Mittlerweile verkehren aber nur noch im Sommer Shuttlebusse vom Passo Pian delle Fugazze (1.163 m) bis zur Galleria D’Havet, dem langen Tunnel, der einen Durchbruch ins Nachbartal darstellt.
Bus oder Laufen?
Kurz nach dem Tunnel zweigt scharf rechts ein kaum markierter Pfad ab. Der steile Weg kürzt den Abstieg zum Fugazze-Pass ab, erfordert aber deutlich mehr Aufmerksamkeit beim Gehen als die sich in langen Kehren den Berg hintunterwindende Militärstraße. Kurz nach 14 Uhr kommen wir an einem riesigen, etwas trostlos wirkenden Parkplatz raus. Aus den Fahrplänen an der Bushaltestelle werden wir gar nicht schlau, die Wegweiser zum Passo Campogrosso erwähnen noch knapp zwei Stunden Gehzeit - klingt machbar. Wir entscheiden uns fürs Wandern, dafür sind wir schließlich hier. Die 300 Höhenmeter kriegen wir auch noch bewältigt.
An einem Picknickplatz legen wir eine Trinkpause ein, die wir zum Anlegen wasserdichter Kleidung verlängern, als es anfängt zu schütten. Nach fünf Minuten ist der Regen aber schon wieder durchgezogen. Wir überqueren die Straße, gehen durch ein Wiesenstück und sind rasch wieder unter Bäumen, die Schutz vor womöglich doch noch einmal aufkommenden Schauern bieten sollten. Gegen Wasser von unten haben wir nichts, ein kleiner Bach lässt sich ganz einfach queren.
Wir befinden uns nun in der Flanke des Monte Cornetto, ein 1.899 Meter hoher Gipfel des Sengio-Alto-Massivs, das zusammen mit der Carega-Gruppe zu den Piccole Dolomiti gehört. Eine Überschreitung ist möglich im Rahmen der E5-Tour, aber wir wollen es heute nicht mehr übertreiben. Immerhin noch auf 1.585 Meter führt uns der letzte Aufstieg des Tages bis zu einem Wegweiser am Selletta Nord-Ovest. Hier öffnet sich ein toller Blick über das Hochtal mit dem Campogrosso-Pass. Beeindruckend ist der steil aufragende Riegel der Carega gegenüber. Da sollen wir also morgen rüber ...
Aperol Spritz für alle
Das letzte Stück des Weges über Almwiesen ist lockeres Auslaufen, nur auf die Kühe, die den Weg in Beschlag genommen haben, müssen wir aufpassen. Um kurz nach halb fünf kommen wir am Rifugio Campogrosso an. Wie eine Schutzhütte schaut das hier nicht aus, eher wie ein komfortables Hotel. Es gibt allerdings auch ein Lager mit Etagenbetten. Das ist unseres und da es dazu nur ein Bad hat, dauert es etwas, bis alle mit der Körperpflege durch sind. Die Wirtin erlaubt uns, die beiden Waschmaschinen im Keller zu benutzen, was wir gerne tun. Ab und zu blinzelt die Sonne nun wieder zwischen den Wolken hervor. Die Terrasse des Rifugio mit ihrem herrlichen Blick auf die Berge ist der perfekte Ort für einen Aperitif - eine Runde Aperol Spritz, bitte! Die Chips dazu werden praktisch inhaliert.
Um halb acht sitzen wir zum Abendessen im Restaurant, als draußen ein Gewitter losbricht. Perfektes Timing! Alles in allem hat das heute mit dem Wetter ganz gut gepasst. Der Sturm ist auch schnell wieder vorbei, ein sagenhaftes Licht legt sich über das Gebirge. Ich bin allerdings der einzige, der das so richtig mitkriegt und dafür vor die Tür geht. Ganz allein genieße ich auf einer kleinen Anhöhe den traumhaften Sonnenuntergang.
Unterkunft: Rifugio Campogrosso
Wegstrecke: 18,6 km
Höhenmeter: +950 / -1.350
Nützliche Links
trentino.com - Touristeninfos zu den Piccole Dolomiti
Outdooractive - Details und Karten zur Planung des E5-Südteils
Europawanderweg 5 - E5-Programm des DAV Mainz