So, 26. Juni 22
Carbonare (1.080 m) - Passo Coe (1.610 m)
Die erste Etappe dieser Wanderwoche führt über die Hochebene Fiorentini zum Coe-Pass und damit an die Grenze von Trentino-Südtirol und Venetien. Wie an so vielen Orten in der Gegend erinnern Überbleibsel des Ersten Weltkriegs daran, dass es hier nicht immer so friedlich und entspannt zuging wie in der heutigen Zeit.
Die Nacht im Hotel Trentino war geruhsam, das Frühstück reichlich, und so sind wir bestens gestärkt für den ersten Wandertag, dessen Eckdaten auf dem Papier nicht all zu herausfordernd klingen. In gut vier Stunden sollten wir schon die nächste Unterkunft am Passo Coe erreichen und dann den ganzen Nachmittag Zeit haben, die Strapazen der gestrigen Anreise auszukurieren.
Das erste Ziel ist eine Ruine
Schon aus der Ferne sieht man auf einem Bergrücken hoch über Carbonare eine alte Festung stehen, das Forte Cherle. Nach eindreiviertel Stunden des Aufstiegs auf zumeist bequemen Waldwegen erreichen wir das 1.445 Meter hoch gelegene ehemalige Bollwerk der Österreicher. Zwischen 1910 und 1913 als Werk Sebastiano errichtet, diente die Festung der Überwachung des darunter liegenden Val d'Astico und der Hochebene Fiorentini, über die zwei Kilometer entfernt damals die Grenze zu Italien verlief. Heute treffen hier die Regionen Trentino-Südtirol und Venetien aufeinander, die Provinzen Trient und Vicenza.
Herrlich ist der Ausblick nach Norden in die Fleimstaler Alpen, die wir letzten Sommer durchquert haben. Gut lässt sich auch Vetriolo ausmachen, damals unser vorletzter Übernachtungsort am Monte Panarotta. Die gerodeten Flächen in der Nähe sind unverkennbare Landmarken. Davor unten im Valsugana die beiden Seen Lago di Lévico und Lago di Caldonazzo, und uns jetzt direkt zu Füßen: Carbonare.
Als mit Kriegsende im November 1918 italienische Truppen zur Festung vorstießen, fanden sie diese verlassen vor. Die weitgehend intakt gebliebene Anlage wurde 1935 zum Abriss freigegeben, vor allem Teile der Deckenkonstruktion entfernt. Weil zu jener Zeit wegen des kolonialen Eroberungsfeldzugs in Abessinien ein Stahl-Embargo über Italien verhängt war, hatte das faschistische Königreich dringenden Bedarf an dem Altmetall. Große Teile der Festung brachen dadurch in sich zusammen.
Ende der 1980er schließlich, im Zuge der Herstellung des Friedensweges, des Sentiero della Pace, wurden die ehemaligen Gräben von Trümmern befreit und die Anlage für die Besichtigung hergerichtet. Seitdem gibt es hier auch bestimmt ein Dutzend Informationstafeln über die Geschichte und die Bauweise des Forts, lassen sich Teile der Katakomben wieder begehen. Stockfinster ist es in denen, man sollte unbedingt eine Taschenlampe dabei haben.
Gemütlich durch Wald und Wiesen
Hinter der Festung finden wir nicht gleich den richtigen Weiterweg, aber meine Outdooractive-App hilft weiter. In einem Waldstück führen 185 Steinstufen zu den Resten eines österreichischen Lazaretts, dann geht es ohne Anstrengung durch Wald und Almwiesen bis auf einem Höhenrücken auf 1.720 Metern der höchste Punkt der heutigen Wanderung erreicht ist.
Bald tauchen die ersten Liftanlagen vor uns auf, der Passo Coe kann nicht mehr weit sein. Gegen halb zwei kommen wir an die Passstraße, wo Wandernden gleich zwei Rifugios zur Auswahl stehen. Unseres ist das La Stua. Gerade ebbt der Lunch-Betrieb etwas ab und so findet die freundliche Wirtin Zeit, uns unsere Zimmer zu zeigen, die alle jeweils über ein eigenes Bad verfügen.
Deutsche im Ausland – das nächste Kapitel
Die nächsten Stunden vertrödelt jeder auf eigene Weise: mit Essen und Trinken, Lesen oder Dösen. Die Zahl der Gäste nimmt im Laufe des Nachmittags immer mehr ab, ehe eine deutsche Wandergruppe eintrifft - und mit ihr Berge von Koffern. Was wollen die denn damit? Und ist das nicht der Wanderführer der Bergschule OASE aus Oberstdorf, der schon letztes Jahr parallel mit uns eine Gruppe über den E5 geführt hat? Doch, das ist er! Zufälle gibt's. Und diese Wandergruppe hat tatsächlich einen Gepäcktransport dazugebucht. Unsere spöttische Verachtung ist ihr vom ersten Moment an sicher.
Pünktlich um 19 Uhr wird im Ristorante La Stua das Abendessen serviert - typisch italienisch in vier Gängen. Damit steht fest: Auch auf dieser Tour werden wir keinen Hunger leiden, ist es im Grunde unnötig, irgendwelches Proviant im Rucksack mit sich herumzuschleppen. Der Abend endet nicht allzu spät mit einer Runde Grappa an der Bar.
Unterkunft: B&B La Stua, Passo Coe
Wegstrecke: 11,2 km
Höhenmeter: +770 / -260
Nützliche Links
Visit Trentino - die Gegend ist voll auf Aktivurlaub eingestellt
Outdooractive - Details und Karten zur Planung des E5-Südteils
Europawanderweg 5 - E5-Programm des DAV Mainz