Fr, Sep 9, 2016
Chronik einer Besteigung.
6:00 Uhr
Das Handy signalisiert, dass es Zeit zum Aufstehen ist. Verdammt! Ich war doch gerade erst wieder eingeschlafen... Der Rucksack steht gepackt neben der Tür. Nur Wasser und Sandwiches müssen noch aus dem Kühlschrank genommen und die Kühlbox, die wir mit einigen Dosen Diet Dr. Pepper im Auto lassen, mit Eis gefüllt werden. Die Luft draußen ist angenehm frisch. Aber es ist abzusehen, dass es heute ebenso warm werden wird wie gestern. 26 Grad Celsius sind angekündigt. Unter der brennenden Sonne dürfte die Wanderung heute also zur Hitzeschlacht werden. Am Himmel zeigt sich kein Wölkchen.
7:22 Uhr
Wir parken das Auto auf der großen Schotterfläche gegenüber des Campingplatzes "Curry Village", der wegen eines Rechtsstreits um den Namen mit dem ehemaligen Konzessionär DNC Parks & Resorts at Yosemite zur Zeit "Half Dome Village" heißt. Der eigentliche Trailhead für die Wanderung auf den Half Dome ist eine halbe Meile weiter am Happy Isles Nature Center. Bis dahin dürfen aber nur Shuttlebusse und Fahrräder fahren. Wir ahnen jetzt schon, dass diese halbe Meile am Ende des Tages sehr weh tun wird.
8:30 Uhr
Die Hälfte des Mist Trails entlang der Wasserfälle ist geschafft, wir stehen an der Kante des Vernal Falls. Zum dritten Mal in unserem Leben sind wir diesen steilen, aber sehr gut ausgebauten Weg nun schon gewandert. Nur beim ersten Mal wurden wir dabei von der Gischt geduscht, da waren wir im Mai unterwegs. Nun im September ist der Merced River, der hier knapp 100 Meter in die Tiefe fällt, zu einem bescheidenen Bach geschrumpft.
9:15 Uhr
Oberhalb des 181 Meter hohen Nevada Falls treffen wir nun auf einige Wandergruppen, die nach dieser ersten anspruchsvollen Passage mit 580 Höhenmetern eine Pause einlegen. Allerdings schwirren hier dank des nahen Plumpsklos ziemlich viele Fliegen umher. Also suchen wir für unser Frühstück ein Plätzchen etwas weiter oberhalb.
9:45 Uhr
Nach einem Stück flachen, sandigen Weges, der schon in der Sonne liegt, zweigt im Little Yosemite Valley der Trail zum Half Dome nach links ab. Die nächsten Kilometer wird es stets bergan durch den Wald gehen. Von der letzten Wanderung ist uns dieser Teil als besonders anstrengend in Erinnerung. Allerdings läuft er sich heute erstaunlich gut. Mittlerweile haben wir wohl einfach mehr Erfahrung mit langen Strecken bergauf als vor zehn Jahren. Langsam aber stetig sollte man diese angehen, dann sind sie weiter kein Problem. Wir überholen einige Wanderer, die zu Beginn noch in hohem Tempo an uns vorbeigezogen sind.
10:45 Uhr
An einer Wegkreuzung steht ein Ranger und kontrolliert die Permits. Er tut das mit großer Sorgfalt und gleicht alle Namen mit denen auf seinem Tablet-Computer ab. Seit 2012 bedarf es zur Begehung des Half Domes einer Erlaubnis. Höchstens 300 werden täglich ausgegeben, 225 davon in einer Online-Lotterie, für die man sich im März registrieren muss. Mitte April erhielten wir die Email, dass wir dabei sind. Der Ranger macht zwei junge Männer glücklich, als er feststellt, dass eine Gruppe Plätze auf ihrer Permit ungenutzt lassen würde. Die beiden haben wohl schon einige Stunden gewartet.
11:20 Uhr
Wo sich der Wald lichtet, lugt die zu besteigende Flanke des Half Dome hervor. Wir wissen, dass davor noch die unglaublich steile Kuppel des Subdome zu überwinden ist, also ist nun ein guter Zeitpunkt für eine weitere Pause - mit traumhafter Aussicht.
12:20 Uhr
Wir stehen am Fuß der Kabel, die zum Gipfel führen. Zwischen den Drahtseilen herrscht Hochbetrieb. Jetzt um die Mittagszeit hat ein Großteil der Tageswanderer diese Schlüsselstelle erreicht, während die, die die Tour am Morgen vom Zeltplatz im Little Yosemite Valley aus angegangen sind, schon wieder herunterkommen. Sehr hinderlich ist, wenn die Leute dabei ihre großen Rucksäcke aufhaben. Wir entscheiden daher, ohne Gepäck zu klettern. Wie beim letzten Mal liegt vor dem Einstieg zum Aufstieg ein ganzer Haufen Handschuhe, aus dem wir uns zwei Paar nehmen. Zum Glück! Wir haben gar nicht dran gedacht, dass man sich ohne ja leicht die Handflächen an den Drähten aufreißt. Dann mal rauf!
12:55 Uhr
Es ist geschafft! Der 2.693 Meter hohe Half Dome ist auch von mir endlich bezwungen. Der finale Aufsteig war für die Muskeln anstrengender als für den Kopf. Von Höhenangst keine Spur, dafür brennen Arme und Oberschenkel. Ein paar Minuten lang ruhen wir uns aus, dann erkunden wir das Gipfelplateau. Der Blick ins Tal ist atemberaubend. Conny ist es in der Nähe der Kante mulmiger zumute als mir. Keine Chance, dass sie ein Foto von mir auf der überstehenden Nase des Half Dome sitzend macht...
13:20 Uhr
Der Abstieg zwischen den Kabeln ist einfacher als der Weg hinauf. Nur noch wenige Wanderer kommen uns entgegen. Vor uns trödelt allerdings ein Trupp junger Männer herum, so dass wir immer wieder anhalten müssen. In der ausgetretenen und daher glatten Spur ist ein gutes Sohlenprofil Bedingung, um sicheren Halt zu finden. Mit meinen erst im Frühjahr gekauften Meindl klebe ich am Fels wie eine Bergziege.
13:30 Uhr
Um unsere zwischen Felsen abgestellte Rucksäcke wuseln Squirrels. Die frechen Tiere lassen sich keine Gelegenheit zu einem kostenlosen Mittagessen entgehen. Eine Stunde ohne Aufsicht hat gereicht, den Boden von Connys Rucksack aufzunagen, das dort verstaute Sandwich durch das Loch zu ziehen und sich darüber herzumachen. Unverschämtheit! Dabei hatte sich Conny so auf ihr Essen gefreut...
14:15 Uhr
Sobald wir wieder im Schatten des Waldes sind, machen wir erneut Pause. Der technisch anspruchsvolle Teil der Tour liegt hinter, aber noch ein langer Rückweg vor uns. Statt eines Sandwichs gibt es Nüsse für Conny.
15:45 Uhr
Wir erreichen das Little Yosemite Valley. Hier suchen wir uns große Steine zum Sitzen am Ufer des Merced und gönnen den Füßen eine Erfrischung. Was für eine Wohltat! Eine tolle Stelle für eine Rast bietet auch das Becken, das der Fluss an der Brücke kurz vor dem Nevada Fall bildet. Bei dem niedrigen Wasserstand kann man hier sogar gefahrlos baden. Darauf verzichten wir allerdings.
16:45 Uhr
Vor zehn Jahren sind wir vom Nevada Fall aus auf dem John Muir Trail ins Tal abgestiegen. Diesmal nehmen wir den kürzeren Mist Trail, also den Weg, den wir am Morgen hoch gekommen sind. Bergab sind die großen Felsstufen allerdings nicht viel leichter zu begehen als bergauf. Je näher wir dem Talboden kommen, desto mehr Betrieb ist auf dem Weg. Wer sich hier alles am Aufstieg probiert... Den ultimativen Badeort bildet der tiefe Pool zu Füßen des Vernal Falls. Natürlich ist das Schwimmen hier eigentlich verboten, aber wer könnte es den drei jungen Leuten an diesem heißen Nachmittag schon verdenken? Viel mehr rege ich mich über den Inder auf, der seine Frau mitten in die Botanik klettern lässt, nur damit er ein Foto von ihr vor den Wasserfällen machen kann - während alle anderen warten müssen bis das Motiv wieder frei wird.
17:45 Uhr
Endlich kommen wir an der Vernal Fall Footbridge an. Hier gibt es einen Trinkbrunnen. Längst habe ich alles Wasser ausgetrunken, das wir dabei hatten. Nun lasse ich fast einen ganzen Liter hinterherlaufen. Grundsätzlich sollte man auf dieser Wanderung mindestens vier Liter dabei haben. Meine drei waren etwas knapp kalkuliert bei dem warmen Wetter und in der trockenen Luft. Auf dem breiten Spazierweg vermischen sich nun die eingestaubten und abgekämpften Half Dome-Besteiger mit den munter plappernden Touristen in Sandalen und Turnschuhen. So erlebt eben jeder den Yosemite Nationalpark auf ganz eigene Art und Weise.
18:23 Uhr
Nach genau elf Stunden sind wir zurück am Auto. Wir haben das Gefühl, keinen Schritt mehr gehen zu können. 23,5 Kilometer Wegstrecke und 1.600 Höhenmeter stecken uns in den Knochen. Wir sind fix und fertig, aber sehr glücklich.
Gefahren: 41 Meilen / 66 Kilometer
Hotel: Cedar Lodge, El Portal - 199 USD via booking.com
Nützliche Links:
National Park Service - die offizielle Website des Yosemite National Park
Yosemite Mariposa County - Unterkünfte rund um den Nationalpark
Half Dome Permits for Day Hikers - alles zu Anmeldung und Verlosung
Yosemite Hikes - die besten, nein, ALLE Wanderungen im Yosemite