2017 Karwendel 3

 WENN DIE SONN UNTERGEHT IM KARWENDEL (3)

Klassischerweise führt der dritte Teil der Karwendel-Durchquerung vom Karwendelhaus auf knapp neun Kilometern über Hochalmsattel, Filztal und den Kleinen Ahornboden zur Falkenhütte. Man kann diese Etappe aber locker bis zur Eng Alm im Großen Ahornboden verlängern und statt auf der Alpenvereinshütte im Drei-Sterne-Gasthof nächtigen. Angesichts des Wetters bin ich froh, dass genau das unser Plan ist. Das breite Regenband, das vorgestern schon unser Begleiter auf der Fahrt Richtung Süden war, hat sich noch einmal über Deutschland eingedreht und Kurs auf die Alpen genommen. Gleichzeitig ist die Schneefallgrenze auf 2.000 Meter gesunken. Wir sind auf knapp 1.800 unterwegs, entsprechend eisig fegt der Wind über die Joche.


Über die Falkenhütte zum Großen Ahornboden

(15,5 km / ↑618 m / ↓1.224 m)


Den Wind haben wir aber zum Glück meist im Rücken. Fast fliegen wir der Falkenhütte entgegen. Die einmalige Schönheit der Landschaft um uns herum lässt sich nur erahnen, zu tief hängen die Wolken im Tal. Nach zwei Stunden stehen wir bereits unterhalb der Falkenhütte und der gewaltigen Laliderer Riesen, deren schroffe Spitzen ab und an aus dem Nebel auftauchen. Wir beschließen ohne Pause weiterzugehen. Eine Einkehr in der Falkenhütte würde bedeuten, dass wir heute zwei Mal nass werden. Längst haben wir sämtliche Wanderer, die am Morgen mit uns gestartet waren, abgehängt und bald überrunden wir auch die Übernachtungsgäste der Falkenhütte.


Einem Bachbett gleicht der Weg über das Hohljoch und hinunter zum Großen Ahornboden. Bremsen kann uns der nasse Untergrund indessen nicht mehr. Nach vier Stunden Gehzeit erreichen wir Punkt 12 Uhr die idyllische Eng Alm. Ein Radiosender des ORF macht ausgerechnet heute hier mit großem Team auf Sommertour Station. Nur wenige Besucher verlaufen sich zwischen den hübschen alten Bauernhöfen und der mit allerlei Preisen ausgezeichneten Käserei des Dörfchens. Die Promoaktion fällt ins Wasser.


“Respekt!” entfährt es Carina Kofler-Pfurtscheller, Betreiberin des Alpengasthof Eng, als ich auf ihre Frage, wie früh wir denn vom Karwendelhaus gestartet seien, “Vor vier Stunden” entgegne. Ein bisschen mitleidig betrachtet sie uns, die aussehen wie nasse Pudel. Flugs weist sie den Weg zum Trockenraum und drückt uns auch schon den Schlüssel für ein gemütliches Zimmer im dritten Stock in die Hand. Nichts könnte nun eine größere Wohltat sein als eine lange, heiße Dusche. Vielleicht noch die Fritatensuppe und der Kaiserschmarrn, die wir danach im Restaurant des Hauses serviert bekommen. Das Leben ist wieder schön.


Am schönsten Platz Tirols


Der Ahornboden ist ein landschaftlich beeindruckender Almboden mit uralten Bergahorn-Beständen. Warum sich diese hier einst in großer Zahl ausbreiten konnten, ist unklar. Womöglich wurde das Tal aufgrund des Dreißigjährigen Krieges längere Zeit nicht beweidet. Vielleicht grassierte auch eine Viehseuche in der Gegend. Viele der knorrigen Bäume stammen jedenfalls just aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, manche sind sogar 600 Jahre alt - und mittlerweile am Ende ihrer Lebensdauer angelangt. Die natürliche Verjüngung funktioniert aufgrund veränderter Boden- und Wasserverhältnisse und der Beweidung von Vieh und Wild nicht mehr. Abgestorbene Bäume werden also durch Neupflanzungen ersetzt. Sagenhaft schön muss das Tal zur Zeit der herbstlichen Laubfärbung sein. Dann wird die Eng aber auch von Ausflüglern überrannt. Immerhin gilt der Ort als einer der schönste Tirols. Und das Bundesland ist wahrlich nicht arm an schönen Orte.