20150802 E5 09
Blick von der Braunschweiger Hütte


So, 2. Aug 2015

WO GEHT'S HIER ZUM PANORAMA?

Von der Braunschweiger Hütte führt der E5 über das Pitztaler Jöchl. Hätten wir nicht schon auf dem Kaunergrat die 3.000-Meter-Marke geknackt, kämen wir ihr hier so nahe wie bisher nirgendwo sonst auf dem E5. Der heutige Zielort Vent wird unsere letzte Station in Österreich sein.           

Nach einer Woche des Wanderns fällt mir auf, wie toll der Körper über Nacht regeneriert. Man müsste ja denken, dass man nach den Anstrengungen des Vortags jeweils mit Muskelkater und schmerzenden Gelenken aufwachen würde, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Ich werde wach und fühle mich fit. Großartig! Ich fürchte nur, dass dieser Zustand nicht lange anhalten wird, wenn der Alltag mit seinen acht, neun Bürostunden am Tag wieder Einzug hält.


Die heutige Tagesetappe bestreiten wir mit der ganzen Gruppe. Bis zwanzig Mann und Frau Marschbereitschaft hergestellt haben, vergehen fast zwei Stunden. Da sind wir ein zackigeres Morgenritual gewohnt. Ich werde Martin bitten, für die schnelle Truppe zukünftig eine frühere Startzeit zu setzen...


Auf dem Dach Europas


Draußen haben wir allerdings noch nichts verpasst - die Gletscherwelt rund um die Braunschweiger Hütte ist in Wolken eingepackt. Dementsprechend ist die Sicht auf dem Weg über das Pitztaler Jöchl gleich null. Hier befinden wir uns nun mitten im Hauptkamm der Zentralalpen, sozusagen auf dem Dach Europas.



In 2.996 Metern Höhe markiert das Pitztaler Jöchl den Übergang ins Ötztal, auf dessen Seite wir ein rutschiges Schneefeld passieren müssen. Die Technik: Gewicht auf die Ferse, Stöcke in den Schnee gerammt, dann kann da gar nichts passieren. "Das nennt man die Kackhaltung", klärt uns Wanderführer Manfred auf.


Direkt anschließend gilt es, über teils mit Versicherungen versehenes feines Geröll zu kommen. Es erfordert etwas Vorsicht, keinen Steinschlag zu verursachen, ist aber auch weiter keine Hexerei. Martin und Manfred berichten, dass diese Stelle in den letzten Jahren stets unter Schnee begraben und daher viel leichter zu begehen war, als es heuer der Fall ist.


Ein Schandfleck der Alpen


Knapp zwei Stunden nach dem Aufbruch kommen wir am Söldener Gletscherstadion unterhalb des Rettenbachferners raus. Hier feiert jedes Jahr der Skiweltcup Saisonbeginn. Jetzt erinnert das Ganze an einen Tagebau. Man kann sich wirklich wenig Hässlicheres vorstellen als ein Gletscherskigebiet im Sommer. Absolut grauenhaft. Hoffentlich kommt bald der erste Schnee!


Statt über den Gletscher führt unser weiterer Weg unter ihm hindurch, nämlich durch den Rosi-Mittermaier-Tunnel, Europas höchstgelegenen Autotunnel. Passieren lässt sich der nur per Shuttlebus und bis der fährt, haben wir eine knappe Stunde Zeit, uns im Restaurant mit einem zweiten Frühstück zu stärken.


Auf der anderen Seite des Berges geht es wieder zu Fuß weiter über den Venter Panoramaweg. Mit dem Panorama ist es allerdings nicht weit her. Die Sichtweite beträgt allenfalls zwanzig Meter, also nichts zu sehen von den Stubaier Alpen und dem Venter Tal. Aber sehr angenehm zu gehen ist dieser Weg. Erst nach über zwei Stunden reißt die dichte Bewölkung auf und eröffnet erste Ausblicke auch in Richtung des Similaun, unserem morgigen Zwischenziel. Dahinter kommt dann schon Südtirol, Italien.


Ankunft im Bergsteigerdorf Vent


Immerhin haben wir nun Vent fest im Blick. Ein älterer Herr am Wegesrand macht uns auf die malerische Kirche am Dorfeingang aufmerksam. Hier wirkte in den 1860er Jahren Franz Senn, der als "Gletscherpfarrer" Alpingeschichte schrieb. Angesichts des allgegenwärtigen Mangels in der abgelegenen und bettelarmen Region erkannte er die Bedeutung des Tourismus als wichtige Einnahmequelle für die Bergbauern. Er legte Wege und Steige an und initiierte den örtlichen Fremdenverkehr. Senn gilt damit als Begründer des Tourismus in Tirol, der dem Bundesland heute über sieben Milliarden Euro Umsatz im Jahr beschert. Außerdem rief er 1869 gemeinsam mit drei Gleichgesinnten in München den Deutschen Alpenverein ins Leben. Da schau an.



Um kurz nach halb vier erreichen wir unsere Unterkunft, den Drei-Sterne-Gasthof Gstrein. Eine Runde Getränke in der Stube, dann verteilen wir uns auf die Zimmer. Ganz angenehm, sich die Räumlichkeiten mal wieder nur mit zwei anderen, Dirk und Max, teilen zu müssen. Und das große Bad lädt zur ausgiebigen Körperpflege ein. Auch einen Wäscheservice bietet das Hotel. Den nehme ich nur zu gern in Anspruch.


Die Chefin des Hauses tischt uns zum Abendessen ein Vier-Gänge-Menü auf. Da kann man mal so gar nicht meckern. Überhaupt essen wir auf der ganzen Tour ziemlich gut. Trotzdem rutscht die Kalorienbilanz jeden Tag tiefer ins Minus. Meine Shorts trage ich längst unterhalb der Hüfte.

Wanderung:  13,6 km

Höhenmeter: +241 / -1.326

Übernachtung: Berghotel Gasthof Gstrein - 48 EUR inkl. Halbpension