Di, 4. Oktober 2022
Wir wollen uns nicht lange in Boston aufhalten. Einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten hatten wir schon 2008 besucht und so sehr uns bewusst ist, dass es noch viel mehr in der Hauptstadt von Massachusetts zu entdecken gäbe, wollen wir zügig die Küste raufkommen und das erste Quartier schon in Maine beziehen. Ogunquit ist das Ziel. Auf dem Weg dahin bekommen wir einen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen in New England.
Für 9 Uhr habe ich den Mietwagen gebucht, aber natürlich sind wir viel früher wach. Also gehe ich schon gegen acht zur Rezeption und frage nach, ob mich der Shuttlebus zum Mietwagenzentrum am Flughafen bringen kann. Tut er, meint die Dame, ich solle einfach dem Fahrer Bescheid sagen, dann ließe er mich dort raus. Der Fahrer sieht das anders, denn sein Plan ist so eng getaktet, dass er für Extrastopps keine Zeit hat. Aber er kümmert sich darum, dass ich am richtigen Halt am Terminal aussteige, von wo kurz darauf der Bus zur T-Station (ja, der Bostoner Flughafen hat Anbindung an das U-Bahn-Netz der Stadt) und eben zum Parkhaus mit den Schaltern der Mietwagenfirmen abfährt.
Mietwagen: Das Übliche
Die Zeiten mögen sich ändern, die Mitarbeiter am Rental Car Desk werden wohl bis in alle Ewigkeit versuchen, einem alle möglichen Zusatzleistungen anzudrehen. Nein, ich will wirklich kein größeres Auto. Nein, ich brauche keine Pannenhilfe. Auch keine automatische Mautabrechnung für 13 Dollar am Tag. (Da würde mich wirklich mal interessieren, ab wie vielen Tunnelfahrten sich die rechnet.) Und ja, ich werde das Auto vollgetankt zurückgeben, denn der Benzinpreis, der da angeschrieben ist und den du als "cheaper than outside" anpreist, ist hundertpro teurer als an der Tankstelle. Hammers bald? Thank you, have a nice day!
Okay, ich geb's zu, mit einem Ford Fiesta habe ich nicht gerechnet. Die Ausstattung: vom billigsten. Nicht einmal elektronische Fensterheber hat die Karre. Unter der Kofferraumklappe hat sich schon Rost breitgemacht. Muss monatelang draußen herumgestanden haben. Aber egal, für uns dürfte der Wagen völlig ausreichen. Zurück zum Hotel durch den Stau auf dem Flughafenzubringer.
Los geht der Roadtrip!
Ich kann mich nicht erinnern, jemals in so einer trostlosen Gegend abgestiegen zu sein. Das Hampton Inn steht mitten in einem Industriegebiet zwischen Tanklagern, Speditionen und den Anlegern der Frachtschiffe. Jenseits des Hafens sehen wir auch die Skyline von Boston, aber länger als eine Nacht muss man hier wirklich nicht bleiben. Wir gönnen uns noch ein Frühstück, mit dem wir ungefähr einen Kubikmeter Müll verursachen, verstauen das Gepäck im dafür perfekt dimensionierten Kofferraum und fädeln uns ein in den dichten Verkehr der Vorstädte. Das erste Ziel ist eine Filiale des Outdoor-Ausstatters REI. Ich hatte Mut zur Lücke beim Packen und keine Wanderschuhe mitgenommen. Die will ich nun einkaufen.
Im Auge habe ich leichte Trailrunner von Altra, die es in einer halbhohen Version gibt. Die Besonderheit dieser Schuhe ist ihr flaches Fußbett und viel Raum für die Zehen vorne. Beides sollte mir helfen, Blasen besser zu vermeiden. Nun bin ich allerdings überrascht, dass diese amerikanische Marke hier mehr kostet, als bei den einschlägigen Versandhändlern in Deutschland. Immerhin: Genau den Schuh, den ich wollte, haben sie bei REI auf Lager, saubequem ist er, also geht er mit. Auch Conny ersteht ein neues Paar der von ihr über alles geliebten Merrells.
Auf Erkundungstour durch Ipswich
Nur eine gute halbe Stunde Autofahrt weiter nordöstlich lässt sich im Örtchen Ipswich ein bisschen typisch neu-englische Atmosphäre schnuppern. Die Sonne hat sich leider nach einem kurzen Hallo am Morgen hinter dichter Bewölkung versteckt, trotzdem wollen wir hier eine kleine Runde drehen.
Ipswich liegt kurz vor der Mündung des Ipswich River, bot den englischen Siedlern ab den 1630er Jahren einen sicheren Hafen in einer kleinen Bucht und ein Auskommen als Farmer, Fischer, Schiffbauer und Händler. Die Kraft des Wassers wurde auch früh für den Betrieb von Textilmühlen genutzt, berühmt wurde der Ort für eine besondere Art von Spitze, die "Ipswich Lace". Wirtschaftlich verlor Ipswich aber bald an Bedeutung und fiel in den Schatten der größeren Hafenstädte in der Nähe, von Newburyport, Salem und Boston. Und weil die Bewohner arm blieben und sich den Bau neuer Häuser kaum leisten konnten, sind hier besonders viele alte Gebäude erhalten geblieben. Das prominenteste Beispiel ist das John Wipple House, mit dessen Bau 1677 begonnen wurde und das zu den zehn ältesten Gebäuden von Massachusetts zählt. Schon seit 1899 ist es ein Museum, einer der ersten gelungenen Versuche, historische Bauten aus der Kolonialzeit zu erhalten. Heute gehört es zum Ipswich Museum, das von der örtlichen Historical Society betrieben wird – aber leider dienstags geschlossen hat.
In Ipswich befindet sich auch die älteste, durchgehend befahrene Doppelbogenbrücke des ganzen Landes, die Choate Bridge. Baujahr 1764 und schon des Baustoffs wegen eine enorme Innovation. Die Brücke besteht nämlich aus Stein, unerhört zur damaligen Zeit in Amerika. Die Ipswicher waren sich sicher, die Konstruktion würde einstürzen, wenn erstmal der hölzerne Rahmen unter den Bögen entfernt würde. Aber denkste, sie hält bis heute.
Behold this Bridge of lime and stone / The like before was never known / For beauty and magnificence / Considering the small expense / How it excels what was expected / Upon the day it was projected / When faithful men are put in trust / They'll not let all the money rust / But some advance for public good / Is by this fabric understood / And after this it will be wrote / In honor of brave Colonel Choate / It was his wisdom built the same / And added lustre to his fame / That filled this County with renown / And did with honor Ipswich crown.
Wiege der Amerikanischen Revolution
Noch eine Episode aus der Geschichte von Ipswich lässt aufhorchen. Hier wurde nämlich der Schlachtruf "No taxation without representation" geboren, allerdings 100 Jahre bevor der Streit um die Besteuerung der Kolonien, ohne dass deren Vertreter Platz und Stimme im englischen Parlament hätten, zum Ausbruch des Krieges um die Unabhängigkeit führte. Ein Reverend John Wise forderte bei einer Versammlung im Jahre 1687: "No taxes shall be levied on ye Subjects without consent of an assembly chosen by ye Freeholders." Rumms! Die sogenannte "Andros Rebellion" gegen den von der Krone eingesetzten Gouverneur von Massachusetts nahm ihren Lauf und endete nach der "Boston Rebellion" zwei Jahre später mit dessen Sturz . An der Stelle des Versammlungshauses steht heute eine Kirche, ansonsten lassen sich die damaligen Dimensionen der Stadt rund um den zentral gelegenen Hügel noch erahnen. Der Meetinghouse Green Historic District steht unter Denkmalschutz.
Schnell durch New Hampshire
Schließlich haben wir genug von Ipswich gesehen. Beim netten Zumi's Coffeehouse holen wir uns wärmende Getränke und machen uns auf den Weiterweg auf der Route 1. Für etwas über 15 Meilen führt die auch durch den Staat New Hampshire, den wir auf einer Brücke bei Portsmouth schon wieder verlassen. Hier hat es gekracht. Zum Glück auf der Gegenspur, denn der Unfall sorgt für einen gewaltigen Stau in Kittery, der Stadt auf der Maine-Seite des Piscataqua River. Hier ist gerade Schichtwechsel in der Marinewerft. Wir fahren die Autoschlange bis zu deren Toren ab, denn wir sind von der 1 abgebogen zu einem Fischrestaurant am Wasser. Pech aber: Frisbee's Wharf at Pepperrell Cove hat geschlossen. Davon wusste Google leider nichts. Ist aber nicht so schlimm: Bei den Outlett Malls von Kittery gibt es eine viel gerühmte Lobster Shack, Bob's Clam Hut. Kehren wir halt dort ein.
Wenn man in New England ist, muss man natürlich Lobster essen, Hummer. Der wird vor allem vor der Küste von Maine reichlich gefangen, denn der Erwärmung des Meeres wegen sind die Tiere auf dem Weg nach Norden und eben dort gerade besonders zahlreich, wobei es eine Frage der Zeit ist, bis es sie wieder vertreiben wird. Jedenfalls rechne ich nicht damit, für eine Lobster Roll all zu tief in die Tasche greifen zu müssen. Preise sind selten angeschrieben, sondern immer "mrkt", also was der Markt verlangt. Der Tageskurs bei Bob's steht bei 30 Dollar. Oha. Will ich trotzdem haben! Conny nimmt fritierte Clam Strips, ich noch eine Chowder, dazu ein 8-Dollar-Bier und so kostet unser Mittagessen stolze 70 Bucks. Bei einem Imbiss am Straßenrand. So langsam schwant uns, dass nicht nur die Hotelpreise hierzulande durch die Decke gegangen sind. Aber wir lassen uns das Lunch trotzdem schmecken. Die Lobster Roll mit warmer Butter ist köstlich!
Meerblick inklusive
Von Kittery nach Ogunquit ist es nur noch ein Katzensprung. Gegen 16:30 Uhr fahren wir beim Colonial Inn auf den Parkplatz. Das Hotel haben wir auf der letzten Reise kennengelernt, als wir eher zufällig in dem kleinen Badeort im Süden Maines gelandet waren. Das behutsam renovierte ehemalige Grand Hotel versprüht so einen herrlich nostalgischen Charme, wir fühlen uns sofort wieder wohl.
Unser Zimmer ist riesig und bietet sogar Meerblick aus mehreren seiner insgesamt sieben (!) Fenster. Super sind auch die frisch gebackenen Chocolate Cookies, die es jeden Nachmittag an der Rezeption gibt. Wir sind froh, gleich drei Nächte gebucht zu haben. Hier lässt sich bestimmt auch ein Regentag, wie er für morgen angesagt ist, bequem aussitzen.
Nach dem späten Lunch brauchen wir kein Abendessen mehr. Aber auf ein paar Drinks wollen wir noch ausgehen und spazieren dafür die Straße runter zur Crew-Bar. 40 Dollar ärmer gehen wir dort nach je zwei Gläsern Bier und Wein wieder raus. Müssen morgen dringend mal in einem Supermarkt vorbei ...
Unterkunft: The Colonial Inn, Ogunquit - 200 USD
Nützliche Links:
Visit New England - alles auf einen Blick
New Hampshire Live Free - Reiseinfos für New Hampshire
Visite Maine - Trip tips
Beautiful by the Sea - Besuchertipps für Ogunquit
New England Foliage - Wie weit ist die Laubfärbung?
TripAdvisor Maine Travel Forum - beantwortet alle Fragen