Mo, Sep 29, 2014
Ein Grund, weshalb Brooklyn der coolste Stadtteil New Yorks ist: Williamsburg. Wir erkunden das Viertel auf einer Walking Tour und genehmigen uns zum Mittagessen Steaks in einem der berühmtesten Restaurants der Stadt.
Dass New York niemals schläft, ist nur eine Legende. Wobei schon sehr früh morgens eine Menge Verkehr über die Hochbrücke am Gowanus Canal rauscht. Wir können das beurteilen, wir sind am ersten Urlaubsmorgen schon um 5 Uhr wach und sehen die Brücke vom Hotelfenster aus.
Wo wir so zeitig auf sind, checken wir mal das Angebot im Frühstücksraum des La Quinta und kommen rasch zu der Erkenntnis, dass dieses das Aufstehen nicht lohnt. Ein Chinese fragt uns dort, wie man am besten mit der Subway zur Freiheitsstatue kommt. Fast scheint er mir überrascht zu sein, als ich ihm halb im Scherz antworte, dass er da mit dem Schiff hinkommt, nicht mit der Bahn. Okay, Spaß beseite. Mittels eines mit fernöstlichen Zeichen übersäten Plans des New Yorker U-Bahn-Netzes auf dem Display seines Smartphones kriegen wir immerhin gemeinsam die beste Route zum Battery Park zusammen. Völkerverständigung at work.
Erster Termin: eine Walking Tour
Wir kuscheln uns nochmal ins Bett. Erst um 10 Uhr haben wir den ersten Termin, eine Walking Tour durch den Stadtteil Williamsburg. Williamsburg haben wir vor zwei Jahren schon mal abends für ein Konzert besucht und weil das Viertel ja immernoch als Hipster-Hauptstadt der USA gilt, dürfte es sich lohnen, dieses etwas ausgiebiger zu erkunden. Dazu habe ich uns bei Free Tours by Foot angemeldet. Wie der Name der Organisation schon ausdrückt, kosten deren Führungen (bis auf den obligatorischen Tip) nichts und das Angebot ist sehr vielfältig und vor allem nicht nur auf Manhattan beschränkt.
Weil wir uns mit der U-Bahn verfahren, kommen wir fast zu spät zum Treffpunkt, sind dann aber doch nicht die Letzten, die vor dem Dunkin' Donuts in der Bedford Avenue einlaufen. Unser sympathischer Guide Derrick hält seinen Einführungsvortrag erfreulich kurz, schon setzt sich der kleine Pulk in Bewegung.
Es geht gleich mit einem interessanten Punkt los, nämlich Street Art. Davon gibt es eine Menge in Williamsburg. Ob Graffiti, Poster, Schablonen oder Sticker - in jeder Straße, an jeder Ecke, an jedem Strommast findet sich hier irgendeines der vergänglichen Kunstwerke. Spätestens seitdem wir in Miami die grandiosen Wynwood Walls gesehen haben, stehen wir da total drauf!
Cost Was Here
Besonders auffällig sind die Wheatpastes, dünne Poster aus einem kaum zu entfernenden Papier aus Stärke und Wasser, von Adam Cost, einem legendären Graffiti-Künstler, der schon in den Neunzigerjahren praktisch ganz Manhattan beklebte. 1995 schnappte ihn die Polizei und er landete wegen Vandalismus vor dem Kadi. Sein Richter schätzte den von ihm angestellten Sachschaden auf über 100 Millionen Dollar, verdonnerte Cost dann aber nur zu einer Geldstrafe von 2.126 Dollar und 200 Stunden Sozialarbeit - natürlich zum Entfernen von Graffiti. Cost zog sich danach erstmal aus der Szene zurück, während ehemalige Weggefährten immer mehr Ansehen als ernstzunehmende Künstler gewannen. 2010 kehrte Cost auf die Straßen und an die Wände zurück. Wir ahnen natürlich nicht, dass er fünf Tage später wieder festgenommen werden sollte…
Die Tour führt in einen Trödelladen, an der Russisch-Orthodoxen Kirche vorbei und in den McCarren Park, in dem man sich angesichts der zahlreichen hier dem Frühsport nachgehenden Anwohner kaum vorstellen kann, dass wir uns mitten in einem der ehemals berüchtigsten Brennpunkte New Yorks befinden. In der Eckkneipe Turkey's Nest erzählt uns der Barkeeper Anekdoten aus längst vergangenen Zeiten, in denen statt Apartmenthäusern Chemiefabriken und Raffinerien das Ufer des East River säumten, in dem die Mafia regelmäßig Leichen verschwinden ließ.
Von der No-Go-Area zum Hipster-Kiez
Nun mag man ja zur Gentrifizierung und Kommerzialisierung von Vierteln, in denen früher einfache Arbeiter Lohn und Wohnraum fanden, stehen wie man will. Dass man heute unbeschwert durch Williamsburg spazieren kann, ohne Angst davor erschlagen, ausgeraubt oder von giftigen Industrieabgasen betäubt zu werden, ist zu begrüßen. So genau will man aber nicht wissen, was so alles im Erdreich unter den nagelneuen Wohntürmen schlummert...
Weiter geht es vorbei an der Brooklyn Brewery, deren Besuch ich für morgen auf dem Zettel habe (Conny freut sich schon sehr darauf!), der Redaktion von Vice, wo Derrick ein paar Exemplare des Magazins für uns abstaubt, und hinein in die heiligen Hallen von Rough Trade, Label, Plattenladen und Konzertlocation in einem. Für 10 Dollar erstehe ich hier einen Stoffbeutel, um die Vice irgendwo hinstecken zu können - der Williamsburger Hipster-Look ist damit fast perfekt.
Vom Bushwick Inlet Park mit den Resten früherer Dock- und Bahnanlagen genießen wir den Blick über den East River auf Midtwon Manhattan, dann spazieren wir wieder Richtung Bedford Avenue. Hier reiht sich ein Restaurant ans andere. So langsam könnten wir etwas zu essen vertragen. Aber noch halten wir uns auf den Füßen, schließlich geht die Tour noch unter der Williamsburg Bridge hindurch in den Hasit Satmar District. Es ist fast unheimlich wie anders das Bild hier auf einmal ist! Penibel sauber, aber irgendwie auch düster und abweisend wirken die Straßenzüge. Hier ist eine streng orthodoxe jüdische Gemeinde zuhause, die mit ihren althergebrachten Bräuchen und Traditionen einen ganz anderen Lebensstil pflegt als der multikulturelle Rest von Williamsburg.
Die Walking Tour endet unter den Gleisen der über den Broadway ratternden Hochbahn. Wir bedanken uns bei Derrick für die sehr interessante und abwechslungsreiche Führung, für die er sich sein Trinkgeld wohlverdient hat. Praktischerweise befinden wir uns nun quasi um die Ecke von Peter Luger's Steakhouse. Das gibt es seit 1887, damals von einem deutschen Bruderpaar gegründet, und ist seit Jahrzehnten Pilgerort für Steakfans aus aller Welt. Genau das Richtige gegen einen knurrenden Magen.
Steaks bei Luger's: Been There, Done That
Ich hatte vor dem Urlaub mal daran gedacht, bei Luger einen Tisch zu reservieren, mich dann aber doch nicht gekümmert. Bestraft werden wir für diese Nachlässigkeit mit der abschätzigen Musterung durch den Maitre D' bei der Frage nach einem Tisch zum Lunch und einem Platz in einem recht ungemütlichen und wohl ausschließlich Touristen vorbehaltenen Saal.
Die Kellner sind immerhin routiniert genug, ihr Pokerface auch dann nicht zu verlieren, wenn sie von Gästen aus Fernost um ein Portrait mit Fleisch gebeten werden.
Die frischen Brötchen vorab sind sehr gut, auch das Brooklyn Lager vom Fass und die Pommes als Beilage. Das Fleisch haut uns allerdings nicht von den Socken. Natürlich sind Steak und Lammfilet auf den Punkt und über jeden Zweifel erhaben, aber das richtige Wow-Gefühl will sich irgendwie nicht bei uns einstellen. Da hat es uns vor zwei Jahren bei Keens besser gefallen. Nun gut. Been there, done that.
Fotosafari an der Williamsburg Bridge
Nach dem Essen begeben wir uns noch ein bisschen auf die Jagd nach Fotomotiven unter der Williamsburg Bridge, schließlich sind wir aber erledigt genug, um die Segel zu streichen und zurück ins Hotel zu fahren. Schon wieder verfransen wir uns mit der Subway und nehmen eine Bahn, die uns so gar nicht Richtung Hotel bringen würde. Also opfern wir eine weitere Fahrt auf der Metrocard und wechseln Linie und Station.
Conny, die meine Erkältung der letzten Tage vor der Abreise geerbt hat, bleibt dann gleich im Bett, während ich mich abends noch einmal auf den Weg zur Brooklyn Bridge mache und die gestern nicht zu meiner Zufriedenheit ausgefallenen Aufnahmen der Skyline bei Nacht wiederhole. Auffällig sind die zahlreichen russischen Hochzeitspaare, die sich hier vor der Hochhauskulisse ablichten lassen. So wirklich romantisch ist das Setting ja nicht...
Ich gönne mir noch ein Eis in der Brooklyn Ice Cream Factory - sehr lecker und im Gegensatz zu gestern völlig ohne Anstehen zu erwerben. Das süße Ende eines schönen Tages in Brooklyn. Kann so weitergehen.
Unterkunft: La Quinta Inn & Suites Brooklyn Downtown - 139 EUR via Expedia
Nützliche Links
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Brooklyn, Baby! - schöner Artikel über Brooklyn auf Lilies Diary
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