20160702 GTA
Capanna Corno-Gries

Sa, Jul 2, 2016

HINTER AIROLO BEGINNT DIE EINSAMKEIT

Will man am Nachmittag auf einer Berghütte im Tessin sein, muss man die Reise von Mainz früh antreten. Sehr früh.

Schon um 5 Uhr meldet sich der Wecker. Conny fährt mich zum Bahnhof, wo ich auf meine Mitwanderer Jutta, Sabine und Johannes treffe. Mit dem Regionalexpress geht es zunächst nach Frankfurt. Dort ist es höchste Zeit für einen Starbucks-Kaffee.


Der ICE nach Basel steht schon abfahrbereit am Gleis. Wir besetzen ein Sechserabteil, so dass wir auf der Fahrt unsere Ruhe haben und noch etwas dösen können. Das Wetter ist bescheiden, die Hügel des Schwarzwalds verschwinden in dunklen Wolken. Wir hoffen, dass es weiter südlich besser aussieht. Die Vorhersage für die nächsten Tage ist recht vielversprechend: Steigende Temperaturen und viel Sonnenschein. Aber wer mag in diesem Sommer schon etwas auf die Wettervorhersage geben?


Nach knapp drei Stunden erreichen wir Basel SBB, wo wir in einen Interregio umsteigen. Der fährt uns in weiteren drei Stunden einmal komplett von Norden nach Süden durch die Schweiz. Und was hier auf einmal für ein Leben ist in diesem Zug! Ausgelassene junge Leute auf dem Weg ins Wochenende, Familien, Touristen aus aller Herren Länder. Und natürlich einige wie wir mit festen Stiefeln und großen Rucksäcken. Je länger die Fahrt, desto größer der Anteil der Wanderer unter den Reisenden.


"Ihr seid jetzt im Tessin!"


Pünktlich um 13 Uhr hält der Zug in Airolo im Tessin. Die Sonne scheint, die Luft ist mild. Das lässt sich gut an! Vor dem Bahnhof steht bereits der Postbus Richtung Nufenenpass. Keine Minute zu früh kommt der Fahrer angelaufen und beruhigt die ungeduldig Wartenden erstmal mit den Worten: "Ihr seid jetzt im Tessin, hier laufen die Uhren etwas langsamer." Wunderbar.

Unsere Rucksäcke gehen in den Laderaum. Die Frage nach einem Gruppentarif für die Fahrt zur Alpe di Cruina verneint der Fahrer, stellt dann aber jedem ein Ticket zum "Spezialpreis" aus, das 5 Franken billiger ist, als wir erwartet hatten. Beim Aussteigen erklärt er uns später noch, dass wir nicht immer damit rechnen könnten, ein so günstiges Busticket für die Strecke zu bekommen. Na, schönen Dank jedenfalls.


Die Fahrt mit dem Postbus ist vielleicht die schönste Art, sich den Schweizer Bergen zu nähern. Durch die großen Fenster sieht man die wunderschöne Landschaft im Breitbandpanorama vorbeiziehen. Vor keiner Dorfeinfahrt vergisst der Fahrer, die Fanfare des Posthorns zu spielen, um den Gegenverkehr zu warnen. Die Häuser stehen mitunter so nah beieinander, dass rechts und links des Buses nur wenige Zentimeter Platz bleiben. Aber was so ein geübter schweizer Postbusfahrer ist, fährt der seine Linie natürlich in schlafwandlerischer Sicherheit durch alle Engstellen. Nach einer Viertelstunde sind wir schon in den Serpentinen aus dem Bedrettotal hinauf zum Nufenenpass, dem Übergang vom Tessin ins Kanton Wallis.


An der Alpe di Cruina steigen wir aus und schultern die Rucksäcke. Mit uns machen sich noch ein paar junge Männer aus Frankfurt sowie ein einzelner Herr auf den Weg zur Capanna Corno-Gries, eine Berghütte des Schweizer Alpen-Clubs. Die haben wir ein paar Kurven vorher schon von der Straße aus gesehen. Der Aufstieg wird nicht mehr als ein Spaziergang und damit ein ganz gemächlicher Start in unsere Tour werden. Aber immerhin befinden wir uns direkt auf 2.000 Metern Höhe. Da ist es allemal vernünftig, sich langsam zu akklimatisieren.


Das Alpenraumschiff


Leider zieht sich nun der Himmel zu und bald fallen die ersten Regentropfen - zum Glück, als wir gerade an einer kleinen Stallung vorbeikommen, so dass wir uns unterstellen können. Es bleibt denn auch bei einem kurzen Schauer. Nach einer Stunde haben wir die futuristisch aussehende Berghütte mit dem markanten Holzaufbau erreicht. Mitten in der kargen Landschaft scheint die vom Rest der Welt schon weit entrückt.

Eine muckelig beheizte Stube, in der es verführerisch nach Essen duftet, und sehr herzliche Gastgeber empfangen uns. Wie sich herausstellt, kommt die Hüttenwirtin aus Bingen. Sie lebt allerdings schon seit zwölf Jahren in der Schweiz, so dass ihr das Schwyzerdütsch fließend von den Lippen geht. Immerhin ist sie aber noch Mitglied in der Mainzer Sektion des Alpenvereins.


Die Schlafräume sind im Obergeschoss. Wir beziehen ein Sechserzimmer, in das später noch ein weiterer Gast einziehen soll. Alles ist modern und sauber.


Die Zeit bis zum Abendessen verbringen wir je nach persönlicher Vorliebe mit Kartenstudium, Schlafen und Lesen. Leckere Suppe, Nudeln mit Hackfleisch und Schokoladenpudding füllen den Magen. Nach dem Essen vertreten wir uns noch etwas die Beine, brechen den Abendspaziergang aber ab, als es wieder anfängt zu nieseln.


Nun spielt heute Abend ja Deutschland gegen Italien. Einen Fernseher gibt es nicht auf der Hütte, auch kein freies WLAN. Die Wirtin reicht uns ein Handy mit dem Stream des Schweizer Fernsehens. Um das versammelt sich bald die halbe Gästeschar. Mir ist das zu anstrengend. Ich gehe zur Halbzeit ins Bett, halte noch ein bisschen den Liveticker im Blick, entscheide mich nach dem Ausgleich aber dagegen, für die Verlängerung wachzubleiben. Muss ich das Drama eben morgen nachlesen...

Wanderung: 2,2 km

Höhenmeter: +310 / -9

Unterkunft: Capanna Corno-Gries (2.338 m)